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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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weißt, dass du mich verwirrst. Und dann steht da nachher ein kleiner Junge mit einer riesigen Beule in der Hose auf der Bühne. Willst du das etwa?“
    Sie kicherte und strich ihm das Haar glatt. „Ach so ist das. Nein, ich kann gern bis nach der Vorstellung warten.“
    Amalie fuhr fort, sich zu schminken, und sang sich weiter ein, während Rupert ein paar Liegestütze zum Aufwärmen machte.
    Es war so wie jeden Abend. Das Publikum brach in ein vielstimmiges Ah und Oh aus, als Rupert seine lange Haarpracht löste. Er absolvierte seine Nummer mit geübter Routine und beobachtete die Gesichter in den ersten Reihen. Da fiel ihm ein Mann auf, der mit versteinertem Gesicht und weit aufgerissenen Augen etwas abseits saß. Während alle anderen bewundernd, ungläubig oder überrascht zu ihm hochsahen, starrte dieser Mann Rupert geradezu empört an. Als bereite ihm der Anblick des muskelbepackten, langhaarigen Mannes körperliche Schmerzen.
    Vielleicht findet er es weibisch, dass ich solche Haare habe, dachte Rupert und warf eine schwere Eisenstange in die Luft, um sie mit seinen gebirgigen Schultern wieder aufzufangen. Das Publikum klatschte verzückt, und der Muskelmann räumte die Bühne.
    Als eine knappe Stunde später Amalie auf der Bühne stand und sang, spähte Rupert wieder durch einen Spalt im Bühnenvorhang. Auch das war etwas, was er jeden Abend tat, obwohl er Amalies Lieder seit Jahren auswendig kannte. Aber er liebte es, sie dabei zu beobachten, ohne dass sie es merkte.
    Die Scheinwerfer tauchten ihr langes blondes Haar in einen honiggelben Glanz. Rupert konnte sich nicht sattsehen an seiner Gefährtin. Er liebte sie, und die Vorstellung, dass sein Begehren nach ihr nicht unbeantwortet bleiben würde, dass sie nachher in ihr gemeinsames Bett steigen würden, erfüllte ihn mit freudiger Erregung. Es wurde langsam wirklich Zeit, dass sie heirateten.
    Während Rupert sich ganz der Betrachtung seiner Liebsten hingab, fiel ihm plötzlich wieder der seltsame Mann aus der ersten Reihe ein. Er saß kerzengerade auf seinem Stuhl und starrte Amalie mit einer Mischung aus kalter Verachtung und kaum verhohlener Lüsternheit an. Was war das nur für ein merkwürdiger Kerl, fragte sich Rupert. Warum ging er in ein Cabaret, wenn er so offensichtlich keine Freude daran hatte?
    Eine Stunde später war die Vorstellung beendet. Alle Künstler kamen noch einmal auf die Bühne und verbeugten sich gemeinsam. Rupert legte den massigen Arm um Amalies Hüfte und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Schulter.
    Rasch zogen die beiden sich an, und Rupert schob sein Haar unter eine weite Wollmütze. Er wartete, bis Amalie sich abgeschminkt hatte, und half ihr in ihren warmen Wintermantel. Sie verließen das Zelt durch den Hintereingang. Doch plötzlich blieb Rupert wie angewurzelt stehen und hielt Amalie fest, damit auch sie nicht weitergehen konnte.
    „Was ist denn?“, wollte sie wissen.
    Rupert deutete auf den Mann, der im Schatten des Zeltes ganz offensichtlich auf sie wartete. „Na, der Kerl da vorn. Ich habe vorhin gesehen, wie er dich angestarrt hat. Mit dem stimmt irgendetwas nicht.“
    Doch Rupert war gewiss kein Mann, der sich vor irgendjemandem fürchten musste. Entschlossen zog er Amalie weiter und näherte sich dem seltsamen Zuschauer. „Warten Sie auf jemanden?“, fragte er kühl.
    Das Gesicht des Mannes erinnerte ihn irgendwie an eine Porzellantasse, die jemand bemalen wollte, dann aber nach den ersten Strichen aufgegeben hatte. Die Züge unter der Hutkrempe vor ihm hatten etwas seltsam Unfertiges, Unangenehmes.
    „Sie ahnen es sicher bereits“, sagte der Mann, „ich warte auf Sie beide.“
    Seine Stimme klang so trocken wie Asche. Er hob den Kopf, und Rupert sah zwei leuchtende Augen zu ihm aufblitzen.
    „Sie müssen entschuldigen, wenn ich Sie vorhin auf der Bühne etwas befremdlich angesehen habe.“
    Rupert wunderte sich, dass der Mann bemerkt hatte, dass er beobachtet worden war.
    „Sie haben wahrscheinlich etwas Negatives darin vermutet, aber so ist es nicht. Ich war nur so erstaunt, Sie und Ihre bezaubernde Begleitung dort oben zu sehen. Sie beide haben so etwas Außergewöhnliches an sich. Sie strahlen etwas so Archaisches aus, so etwas Kraftvolles, Lebendiges.“
    „Was wollen Sie?“, fuhr Amalie den Mann nun an.
    Der Mann schüttelte den Kopf. „Verehrteste, ich schlage Ihnen etwas vor. Ich bin Maler und immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Motiven und Musen. Sie, mein lieber Rupert,

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