Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Sitz in einem Häuserblock am Opernring. Im Erdgeschoss gaben strahlend saubere Schaufenster den Blick frei auf einen marmornen Ausstellungsraum, in dem Bronzeskulpturen auf gläsernen Sockeln darauf warteten, dass ein kunstsinniger Liebhaber sie für viel Geld erwarb. An den Wänden hingen riesige Ölgemälde in goldenen Rahmen, und auf erlesenen antiken Möbeln blitzten Vasen und Nippes unter dem Licht der Kronleuchter.
Auf den ersten Blick konnte Julius nirgendwo ein Preisschild entdecken.
Der Laden wirkte einladend mit all dem warm beschienen Gold, den satten Farben und dem sahneweißen Marmor. Nur zwei Männer wanderten durch den Ausstellungsraum.
Julius gab sich einen Ruck und öffnete die Tür. Drinnen roch es nach der schweren Würze alter Dinge, die man nur in Verbindung mit sehr viel Geld fand.
Augenblicklich eilte ein Mann im Frack auf ihn zu und fragte ihn nach seinen Wünschen. Dabei hoben sich seine Augenbrauen so rasch wie die Schirme feiner Damen, die sich gegen einen lästigen Regenguss schützen wollten.
„Mein Name ist Julius Pawalet. Ich suche Herrn Groukoult.“
„Jan Groukoult ist im Moment nicht hier. In was für einer Angelegenheit wollen Sie ihn denn sprechen?“
„Ich wollte ihm ein paar Fragen stellen wegen dem Bild, das gestern aufgetaucht ist.“
„In wessen Interesse handeln Sie?“, wollte der Ladenassistent wissen. Seine Stimme war ganz steif vor Misstrauen.
Fast hätte Julius geantwortet „In meinem eigenen“. Aber er sagte: „In niemandes Interesse. Ich bin Angestellter im Kunsthistorischen Museum und wollte Herrn Groukoult um eine Einschätzung des gestrigen Fundes bitten.“
Der Frackträger schüttelte sacht den Kopf. „Nun, ich bin nicht befugt, Sie darüber zu informieren, und ich kann Ihnen auch nicht sagen, wann Herr Groukoult zurückkommt. Sie müssen auf ihn warten. Am besten in dem Café gegenüber.“ Er zeigte mit einer nachlässigen Handbewegung durch das Schaufenster auf die andere Straßenseite. „Im Übrigen glaube ich nicht, dass er Ihnen etwas sagen wird. Wenn Sie vom Kunsthistorischen Museum sind, werden Sie es noch früh genug erfahren. Und wenn nicht …“, jetzt war sein Blick noch argwöhnischer, „lesen Sie es bald in der Zeitung. Wenn ich bitten darf? Ich habe Kundschaft zu betreuen.“
Julius wartete im Café gegenüber und behielt die Kunsthandlung im Auge. Er wusste, dass es eigentlich wenig Sinn hatte, den Experten um eine Meinung zu bitten. Und je mehr Zeit verstrich, desto alberner kam er sich vor. Aber tief in ihm keimte die Unruhe. Etwas hielt ihn auf seinem Stuhl fest, und seine Augen waren auf die andere Straßenseite gerichtet.
Und dann sah er sie.
Zu dritt kamen sie um die Ecke. Es war, als wäre der Mann in ihrer Mitte ein Gefangener, der von zwei Gendarmen abgeführt wird.
Julius riss die Augen auf. Er konnte nicht glauben, was er da sah.
Dort drüben ging Luise von Schattenbach und hatte einen sehr blassen, hageren Mann in schwarzer Kleidung untergehakt.
Julius fuhr fast von seinem Stuhl hoch. Das Gesicht des Mannes schien erstarrt in einem gequälten Zug, als hätte ihn jemand zu einem Spaziergang in der eisigen Kälte gezwungen.
Auf der anderen Seite ging eine Gestalt, die das genaue Gegenteil des widerstrebenden Menschen in der Mitte war. Es war, als hätte dieser massige Mann alles Leben und alles Fett aus dem Mann gesogen, den Luise von Schattenbach so entschlossen untergehakt hatte. Ein unglaublich dicker Mann, dessen Gesicht rot glänzte wie ein mit Rotwein übergossenes Spanferkel am Spieß. Er trug einen schwarzen Mantel mit Pelzbesatz, auf den seine dunklen Locken fielen.
Wer war dieser Mann? War das etwa der Hofrat? Der Mann von Luise? Julius blinzelte. Ihn erschreckte die Vorstellung, dass Luise, diese zartgliedrige, geheimnisvolle Gestalt aus seinen tiefsten, verbotensten Träumen mit diesem Koloss verheiratet war.
Und wer war der kläglich aussehende Mann zwischen den beiden?
Eine Antwort darauf bekam Julius schon im nächsten Moment, denn die drei steuerten geradewegs auf die Eingangstür der Kunsthandlung zu. Luise schlüpfte zuerst hinein, dann der dünne Mann und schließlich der wuchtige Kerl, der sich vorher noch einmal nach allen Seiten umsah.
War der Mann in der Mitte etwa Jan Groukoult gewesen? Julius wäre ihnen gern nachgelaufen und hätte beobachtet und gelauscht, was Luise von Schattenbach ausgerechnet in dieser Kunsthandlung trieb. Ein neues Geheimnis reihte sich an die alten, auf die
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