Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
den Hofrat tun, was der mit sabbernder Unterlippe und einem heiseren Stöhnen im Hals ausführte.
Doch an diesem Abend hatte Luise von Schattenbach keine Zeit, den Akt des Entkleidens zu genießen. Sie dachte an Inspektor Lischka.
Vielleicht war dieser unsägliche Polizist das größte Problem.
Sie verspürte ein wütendes Zittern im Magen, wenn sie an Rudolph Lischka dachte. Wie er vor einer Woche hierhergekommen war und sie verhört hatte.
Plötzlich hatte es sich als Fehler erwiesen, dass Luise Julius Pawalet zu sich geholt und ihn ausgefragt hatte. Der kleine Saaldiener hatte beim Inspektor gepetzt. So war bei dem Inspektor der Verdacht aufgekommen, dass Luise etwas mit den Morden zu tun hatte, die derzeit in Wien die Leute beschäftigten. In diesem Moment musste Luise begreifen, was für eine Gefahr durch diese Morde über ihr und dem Hofrat schwebte. Was für eine gefährliche Schnittmenge das Interesse des Inspektors mit den Interessen ihres Mannes hatte. Wie dünn das Eis auf einmal war, auf dem sie sich bewegten. Solange die Aufmerksamkeit der Polizei auf diesem Haus lag, bestand wirklich Gefahr. Dieser Inspektor könnte etwas anderes herausfinden, ein anderes Verbrechen aufdecken, von dem er noch gar nichts ahnte. Aber wenn sie es geschickt anstellte, würde ihr dieser unheimliche Mörder sogar nützlich sein. Luise von Schattenbach erhob sich.
„Colette!“, rief sie.
Sekunden später tauchte ihre schwarze Magd auf, ein bequemes Hauskleid aus weinrotem Musselin über dem Arm. Wie jedes Mal, wenn Luise ihrer versteckten Freundin gegenüberstand, wurde sie von einer seltsamen Zuneigung durchströmt. Inzwischen war ein dunkles Gesicht in Wiens Straßen keine Kuriosität mehr wie einst, als Neger in Käfigen ausgestellt worden waren. Im 18. Jahrhundert hatte der Fürst von Liechtenstein einen schwarzen Kammerdiener, Angelo Soliman, was eine solche Rarität war, dass man die Haut des Afrikaners nach dessen Tod präparierte und im kaiserlichen Naturalienkabinett ausstellte. Ihr gefiel der Gedanke, dass Colette ihr das Leben verdankte und dieses unbeschwerte, exklusive Dasein über den Dächern von Wien. Sie hatte ihr ein wenig Deutsch beigebracht und sie zu ihrer Zofe gemacht. Colette kümmerte sich um Luises Garderobe, um ihre Toilette, und sie war eine diskrete Mitwisserin von Luises Vergnügungen. Luise genoss es, die Frau für sich ganz allein zu haben, sie niemandem zu zeigen, und vor allem, dass sie der einzige Mensch in Colettes Leben war. Aber es gab noch einen Grund, warum Colettes Existenz weitgehend geheim gehalten wurde. Der Hofrat verabscheute Menschen mit dunkler Hautfarbe. Bei ihrer Reise nach Amerika war er auf der Straße zurückgewichen vor den vielen Farbigen, die man überall sehen konnte. Er war der Meinung, dass Schwarze in einer zivilisierten Gesellschaft nichts verloren hatten. Dass die Neger-Kultur unvereinbar war mit der feinen Wiener Gesellschaft, in der sie lebten. Er hätte es Luise niemals gestattet, eine Schwarze nach Wien zu schmuggeln.
Doch dann hatte er Colette eines Tages doch entdeckt und hätte sie fast aus dem Haus gejagt. Nur mit allergrößter Mühe war es Luise gelungen, ihn umzustimmen.
Seitdem gab es eine stillschweigende Übereinkunft. Colette durfte niemals in den Teil des Hauses kommen, den der Hofrat bewohnte. Ihre Existenz durfte auf keinen Fall mit dem Hause von Schattenbach in Verbindung gebracht werden, und Luise musste ganz allein für Colette sorgen. Viktor würde keine Verantwortung für die Frau übernehmen.
Doch in der letzten Woche hatte der Hofrat Luise auf die dunkelhäutige Frau angesprochen.
Es gab etwas, was Colette für ihn tun musste.
Luise hatte seiner Erklärung zuerst entsetzt und angewidert zugehört. Doch dann hatte sie eingesehen, dass Colette tatsächlich etwas tun konnte in einer sehr heiklen Angelegenheit. Sie hatte es ihrer Dienerin vorsichtig beigebracht, und Colette hatte sich wie erwartet gefügt. Luise machte sich keine Gedanken darüber, ob Colette darüber traurig oder schockiert war. Sie würde alles für ihre Herrin tun, das war die Hauptsache.
Während die Dienerin Luises Haar kämmte, betrachtete die das dunkle Gesicht im Spiegel.
„Colette, du weißt, dass es morgen so weit ist, oder?“
Colette nickte stumm und deutete ein Lächeln an.
„Du wirst einen lieben Freund von uns besuchen und ihm etwas Gesellschaft leisten. Das hast du doch verstanden?“
„Freund von Herrin?“, fragte Colette. Ihre Stimme klang
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