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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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er immer noch keine Antwort hatte. Wie eine sich endlos auffädelnde Perlenkette.
    Lange Zeit geschah nichts, dann meinte Julius die Silhouetten von mehreren Menschen in den oberen Stockwerken auszumachen. Was ging dort vor? Warum hatte Groukoult so gequält dreingesehen? Und was hatte er ausgerechnet mit den Schattenbachs zu schaffen?
    Julius beschloss, sitzen zu bleiben und das Haus weiter zu beobachten. Gut, dass man in einem Wiener Kaffeehaus über einer längst leergetrunkenen Kaffeetasse so lange sitzen bleiben durfte, wie man wollte.
    Eine Stunde später öffnete sich die Tür wieder, und Luise von Schattenbach tauchte in Begleitung des fetten Mannes wieder auf. Sie wandten sich nach links und blieben einen Moment lang auf dem verschneiten Gehsteig stehen. Der Mann winkte einen Fiaker herbei, der das ungleiche Paar aufnahm.
    Julius blickte dem Gefährt ratlos hinterher. Was war hier los? Das hatte nicht nach einem harmlosen Galeriebesuch zweier Kunstliebhaber ausgesehen. Julius hätte bezahlen und gehen können, doch sein Blick blieb unverwandt auf den Laden gerichtet. Ob er jetzt hinübergehen und versuchen sollte, mit dem Mann zu sprechen, von dem er dachte, dass es Groukoult war?
    Doch in diesem Augenblick kam der hochnäsige Assistent heraus, schloss die Tür ab und ging mit raschen Schritten davon, einen weißen Umschlag in der Hand. Er sah aufgeregt aus, wie jemand, der so schnell wie möglich eine lebensrettende Botschaft überbringen musste. Wenig später gingen plötzlich die Lichter der Kunsthandlung aus. Schlagartig waren die eben noch hell erleuchteten Fenster nur noch eine schwarze, spiegelnde Fläche in der hereinbrechenden Dämmerung.
    Julius wurde von einer seltsamen Unruhe erfasst. Er holte ein paar Münzen aus der Tasche und stand auf. Bei der Kassiererin im Eingangsbereich zahlten zwei weitere Gäste, und Julius musste warten.
    Voller Unruhe trat er hinaus auf die Straße. Er prallte zurück. Vor ihm waren Passanten stehen geblieben und starrten in den Himmel. Julius hob ebenfalls den Kopf. Eine Frau begann plötzlich hysterisch zu schreien. Da sah er ihn. Im obersten Stockwerk des Hauses löste sich der rabenschwarze, dürre Leib des Mannes vom Fensterrahmen. In einem unendlich langen Moment schien der Körper nach unten zu schweben, ein grabesdunkler Schatten, der vom Abendhimmel fiel. Die Frau hörte nicht auf zu schreien. Der Mann fiel und fiel, mehrere Sekunden lang, und Julius wusste mit einem Mal, dass Luises Drohung in seinem Krankenbett immer noch über ihm schwebte wie ein unsichtbares Messer, das ihn vom Hier und Jetzt abtrennen würde. Julius schloss die Augen. Der Schrei der Frau riss ab.
    ***
    Luise von Schattenbach löste den Kragen von ihrem steifen Winterkleid und sah in den Spiegel. Ihre Wangen waren erhitzt, aber das lag nicht an der klirrend kalten Winterluft, aus der sie kam. Es war die Erregung, die ihr Gesicht glühen ließ. Luise spürte diese Erregung wie kleine Vögel, die gegen ihre Bauchdecke flogen.
    Sie würde an diesem späten Nachmittag keine Männer mehr in ihrem Salon empfangen, aber das, was sie vor einer Stunde erlebt hatte, reichte aus, um ihr ein angenehmes Gefühl von Zufriedenheit zu geben.
    Jan Groukoult war in ihren Händen so weich gewesen wie Butter.
    Sie hatte dafür gesorgt, dass er tat, was Viktor ihm befahl. Sie wusste, dass der Hofrat einen einschüchternden Zug hatte. Luise selbst war unempfindlich gegen die bedrohlichen Anfälle ihres Gatten. Sie lösten in ihr vielmehr Heiterkeit aus und eine tief empfundene Verachtung. Wie albern und lächerlich waren doch die Männer in ihrer kleinen Welt. Aufgeplusterte Akteure in einem absurden, unbedeutenden Spiel. Nicht mehr als eifrige Sklaven, die eine Rolle auswendig gelernt hatten, um den Mächtigen zu gefallen. Und der Hofrat war auch nicht besser. Er genoss seinen Ruf beim Kaiser und führte seinen Namen und Rang spazieren wie einen braven Schoßhund. Aber sein ungeheurer Reichtum und sein unanfechtbarer Stand in der labyrinthischen Hierarchie der Höflinge reichte ihm nicht. Nein, Viktor war ein Gierschlund, der nach allem lechzte, was er nicht hatte. Wie beim Essen. Luise schauderte beim Gedanken an seine maßlose Fresssucht. Er konnte platzen von Wildbret, Braten und Knödeln – aber wenn an einer Tafel, zu der er eingeladen wurde, auch noch eine siebenstöckige Torte stand, dann gab er sich erst zufrieden, wenn er sich auch von dieser noch ein Stück einverleibt hatte, selbst wenn von

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