Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
ihm und fand keine Spur. Auch die Juristoffs würden nicht dazu beitragen können, dass sie ihn entdeckten. Sein Name, Alois Lanz, war nur ein Name. Hinter diesem verbarrikadierte sich der Maler wie hinter einer Festungsmauer. Er war zu gut versteckt.
Und dennoch …
Wenn sogar ein einfacher Saaldiener wie dieser Pawalet ihm auf die Spur kommen konnte … Jetzt hatten sie seine Bilder. Denn nachdem er den beiden Männern unauffällig gefolgt war, musste er mit ansehen, dass sie auch das Porträt von Kraisler gefunden hatten. Jetzt hatten sie zumindest seine zweite Identität.
Nicht, wo er war, aber das würden dieser findige Pawalet und dessen Polizisten-Freund vielleicht auch noch herausbekommen.
Wie konnte es sein, dass Pawalet ihm auf die Schliche gekommen war? Nur ein dummer Zufall? Oder hatte er nach dem Porträt gesucht?
Ob Julius Pawalet wohl eine Gefahr darstellte?
Doch plötzlich lächelte der Maler. Er war mit Rupert Schwarz fertig geworden, dem zentnerschweren Muskelmann. Ein gezielter Schlag in den Nacken und der starke Mann war zu Boden gesunken wie ein erlegter Stier. Die Frau war überhaupt kein Problem gewesen.
Warum sollte er sich vor einem Wurm wie Julius Pawalet in Acht nehmen, wo er doch einen Mann niedergestreckt hatte, der im Varieté mit bloßen Händen Ketten auseinanderriss.
In seinem Magen flatterte die Genugtuung, der Stolz. Seit dem Mord an Samson und Dalila fühlte er sich erst wie ein wahrer Künstler. Nun gab es keine langen, ermüdenden Porträtsitzungen mehr. Bei diesem Paar hatte er einfach kurzen Prozess gemacht. Und genauso würde er es auch in Zukunft handhaben.
Und dieser Julius Pawalet … der Maler hatte große Lust, ihm zu zeigen, was er von dessen Herumschnüffeln hielt.
Es gab ohnehin noch ein weiteres Gemälde im Kunsthistorischen Museum, das er unbedingt umsetzen wollte. Dazu brauchte er nur einen einzelnen Mann. Und jetzt, da er sich von dem lästigen Vorspiel des Porträtmalens verabschiedet hatte, wäre es ein Leichtes, Pawalet zu seinem Modell zu machen.
VI
Am nächsten Tag flatterte mit den Zeitungen ein neuer Skandal in die Häuser der Wiener, der für ein paar Stunden von den unheimlichen Taten des Mörders ablenkte. Für kurze Zeit lichtete sich das geflüsterte Grauen, um für etwas Platz zu machen, das Empörung und Ratlosigkeit auslöste. Doch die Nachricht schlug deswegen so ein, weil es sich schon wieder das Kunsthistorische Museum handelte, das Gegenstand der neuen Schlagzeilen war.
Julius las die Meldung, als er zusammen mit Lischka im Café Westend ein kräftiges Frühstück einnahm. Sie beratschlagten gerade, wie man Alois Lanz aufspüren konnte, und Lischka wollte noch am Mittag ins Kommissariat am Schottenring zurückkehren, um nachzusehen, ob es eine Akte über den Mann gab.
Als sein neuer Freund gerade auf der Toilette war, fiel Julius’ Blick auf die Schlagzeile:
Neue Freie Presse – Morgenblatt Nr. 14845
Wien, Dienstag, den 19. Dezember 1905
Echter Rubens auf Auktion aufgetaucht!
Am gestrigen Abend hat sich auf einer Auktion des Nachlasses von Freiherrn Wilhelm von Pirnowsky ein unerhörter Vorfall ereignet. Unter den ausgestellten Stücken wurde ein Bild des Meisters Peter Paul Rubens identifiziert, welches zurzeit im Kunsthistorischen Museum Wien hängt. Es handelt sich dabei um ein Gemälde der „Beweinung Christi“, das 1614 entstand. Zu der Auktion war der namhafte Kunstexperte Jan Groukoult geladen, welcher die Echtheit der Exponate bezeugen sollte. Dem Kunsthändler Groukoult fiel die augenfällige Perfektion des Gemäldes auf, und er erbot sich, das Bild genauer zu untersuchen. Sein erster Eindruck war der, dass es sich bei dem Gemälde um ein Original von Rubens handeln musste. Er kannte das Format des Bildes und musste feststellen, dass jenes auf der Auktion dieselben Maße aufwies. Zum Entsetzen der Familie Pirnowsky sprach Groukoult sogar von einer infamen Fälschung, ehe er dafür sorgte, dass das Gemälde bis auf weiteres untersucht werden sollte.
Pirnowsky war im letzten Monat einem langen Lungenleiden erlegen und starb im Alter von 87 Jahren. Es ist bekannt, dass die Familie durch fehlgeschlagene Immobiliengeschäfte schon seit längerem finanziell schlecht gestellt ist. Zur Behebung dieser Probleme haben die Enkel des Freiherrn nun eine Auktion veranstaltet, auf welcher die Besitztümer der Familie versteigert werden sollten. Der Verstorbene galt zeit seines Lebens als leidenschaftlicher Sammler von Gemälden
Weitere Kostenlose Bücher