Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
lassen sie im Kunsthistorischen Museum hängen und gaukeln aller Welt vor, das seien die echten Gemälde“, antwortete Julius.
„Aber … das ist ein sehr schwerwiegender Verdacht. Meinst du nicht, dass irgendein anderer Experte im Kunsthistorischen Museum diese Sache schon aufgedeckt hätte?“
„Nicht, wenn alle sogenannten Experten des Museums von Schattenbach und Kinsky gekauft sind. Ich weiß, das hört sich verrückt an. Aber wie erklärst du dir sonst, dass die Grablegung Christi seit Jahren im Museum hängt, dann aber plötzlich im Privatbesitz eines Sammlers auftaucht und auch noch echt sein soll? Wer sagt uns, ob zum Beispiel der Restaurator Franz Kittelberger in Wahrheit nicht vielleicht ein bezahlter Lügner ist, der nun behauptet, der Rubens von der Auktion sei eine Fälschung?“
Lischka nickte nachdenklich. „Das ist wirklich sehr ungewöhnlich. Wir werden uns ganz schön blamieren, wenn das nicht stimmt. Wer sagt mir , dass du nicht ein äußerst phantasiebegabter Spinner bist?“
Julius schüttelte Lischkas Arm verärgert ab. „Ach, du redest die ganze Zeit von Vorsicht und von Indizien! Ich sage dir, dieser Schattenbach und sein Weib haben Dreck am Stecken. Wir müssen herausfinden, was sie planen.“
„Wenn du recht hast, Julius, dann ist es sehr gut, dass das Museum im Moment geschlossen ist”, meinte der Inspektor und blieb stehen. Auf der anderen Straßenseite stand eine prunkvolle Stadtvilla. „Hier ist es. Das ist das Haus von Kinsky.“
Beide blickten zu dem prächtigen Säulenportal, den hohen, erleuchteten Fenstern, den verschwenderischen Stuckverzierungen des Historismus.
„Verdient man als Museumsdirektor so viel, dass man sich so einen Palast leisten kann?“, murmelte Julius. Sein Atem bildete kleine Wölkchen in der Luft.
„Dass er hier wohnt, hat wohl mit seiner früheren Anstellung zu tun“, sagte Lischka. Julius sah ihn fragend an.
„Weißt du denn nicht, dass Kinsky Stellvertretender Direktor im Oberen Belvedere war, gleich hier in der Nachbarschaft?“
Julius schüttelte den Kopf. „Dort, wo früher die Sammlung des Kunsthistorischen Museums war?“
„Genau da. Wundert mich, dass du das nicht wusstest.“ Lischka putzte sich die Nase und rieb sich die Hände. „Ich muss diese Befragung allein durchführen, Julius. Geh in das kleine Café um die Ecke und warte dort auf mich.“
„Darin bekomme ich langsam Übung“, knurrte Julius und drehte sich um.
Lischka überquerte die tief verschneite Straße. Ein Fiaker glitt leise rumpelnd an ihm vorbei. Plötzlich fiel ihm auf, was die auffälligste Veränderung war, die der Winter nach Wien brachte. Die Schneedecke dämpfte das Klappern und Rattern von Pferdehufen und Kutschenrädern, die das ganze Jahr über die Straßen mit ohrenbetäubendem Lärm erfüllten. Eine schläfrige Stille und eine Dumpfheit lagen über allem, und der Schnee unter seinen Füßen fühlte sich an wie ein riesiges, fest gestopftes Kissen. Er sog die scharfe Winterluft ein, bevor er zwischen die steinernen Atlanten trat, die den Eingang zu Kinskys Haus flankierten, und an der Klingelschnur zog.
Es dauerte eine Weile, bis ein Diener die Tür öffnete und den Inspektor einließ.
Vor ihm öffnete sich eine weite Eingangshalle, die mit persischen Teppichen, Marmorbüsten und alten Ölgemälden ausgestattet war. Lischka, der eher ein Freund der Moderne war, empfand die großbürgerliche Zurschaustellung dieser Reichtümer als bedrückend.
Der Diener bat ihn zu warten, der gnädige Herr sei gerade beschäftigt. Als der Diener das sagte, glaubte Rudolph Lischka bei ihm ein hochmütiges Kräuseln der Mundwinkel wahrzunehmen.
Er ließ sich auf einem Samtsofa nieder und horchte auf die verhallenden Schritte des Mannes.
Wo bin ich da nur hineingeraten, dachte der Inspektor. Er wollte einen Mörder finden und schlitterte ohne äußeren Anlass in Ermittlungen, die Julius angestoßen und für die er beim Sicherheitsamt noch keinerlei Befugnis eingeholt hatte.
Was hatte der seltsame junge Mann da aufgespürt? Und konnte Lischka ihm überhaupt trauen? Auf der einen Seite beeindruckte ihn Julius’ unglaublich gutes Gespür für die Gemälde und dass er die Zitate an den Tatorten erkannt hatte. Auf der anderen Seite beunruhigte ihn dieses Wissen aber auch. Er konnte nicht sicher sein, ob Julius nicht in Wahrheit ein Komplize des Mörders war. War er vielleicht nur bei Lischka aufgetaucht, um ihn abzulenken, ihn auf eine falsche Fährte zu
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