Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
zittrig.
Luise fasste Colette am Handgelenk. „Du musst keine Angst vor ihm haben. Er wird dich sehr zuvorkommend behandeln.“
Colette wich Luises Blick aus. „Guter Mann?“, fragte sie zaghaft. „So wie Master?“
Luise seufzte. Colette hatte ihr in ihrem gebrochenen Deutsch erzählt, dass einer ihrer ehemaligen Herren regelmäßig Liebesdienste von ihr gefordert hatte. Außerdem war sie von ihm geschlagen worden. Nur deswegen konnte sie von Colette solche Dinge verlangen. Weil sie wusste, dass ihre Zofe mit solchen Männern bereits vertraut war.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Colette, dieser Mann ist anders. Er ist viel netter als dein Master. Er wird dir nicht weh tun.“
„Mag schwarze Frau wie mich?“ Jetzt klang Colette wie ein unsicheres Mädchen, das Angst hatte, bei einem Kindergeburtstag nicht mitspielen zu dürfen.
Luise verspürte einen kleinen Stich im Magen, ihre Dienerin so ängstlich zu sehen. Doch sie verscheuchte schnell das schlechte Gewissen und streichelte Colette über den Arm. „Aber ja doch. Du bist wunderschön, meine Liebe. Er wird dich lieben!“
Colette reagierte mit fragendem Schweigen. Luise hielt es kaum noch aus. „Du wirst sehen, es wird schön werden. Morgen werde ich dich baden und dir ein Kleid von mir borgen, ja? Aber heute musst du noch etwas für mich tun.“
Rasch erhob sie sich und schrieb einen kurzen Brief. Sie faltete ihn zusammen und steckte ihn in ein Kuvert.
„Den musst du noch wegbringen heute.“
„Wohin?“, fragte Colette.
„Zum Juwelier Efrussi. Sag ihm, dass ich meine Bestellung dringend bis morgen Mittag brauche.“
VII
„Jetzt glaube ich langsam auch, dass bei dieser Geschichte etwas gewaltig stinkt“, knirschte Inspektor Lischka und zog den Kopf tief in den Mantelkragen. Der Wind schnitt in die Gesichter der Passanten wie eine Klinge aus Eis.
„Langsam?!“, echote Julius und schleuderte die Tageszeitung in einen Abfallkorb.
„Sie haben ihn gezwungen, seine Meinung zu dem Gemälde zurückzunehmen. Und wer weiß, was sie ihm sonst noch alles angedroht haben, dass der Mann sich gleich umbringen musste!“
Er war so erregt, dass er die arktische Kälte gar nicht spürte. Sie gingen den Schwarzenbergplatz hinunter und steuerten auf die Heugasse zu, die am Schwarzenbergpark und an den beiden Belvedere-Schlössern vorbeiführte.
„Und du bist dir ganz sicher, dass diese Luise und ihr Mann kurz zuvor mit Groukoult im Haus verschwunden sind?“, fragte Lischka nach.
„Ich habe alles beobachtet.“
„Das beweist aber noch lange nicht, dass sie ihn tatsächlich unter Druck gesetzt haben.“
„Was sollen sie denn sonst gemacht haben?! Sie haben wohl kaum Scharade mit ihm gespielt, wenn er sich gleich danach aus dem Fenster gestürzt hat!“
„Trotzdem“, wandte Lischka ein, „der Hofrat ist ein angesehener Mann, er hat einen hervorragenden Ruf. Man kann nicht einfach einen solchen Verdacht aussprechen, ohne Indizien.“
„Sind das etwa keine Indizien?!“, rief Julius aufgebracht.
Der Inspektor legte ihm beruhigend den Arm um die Schultern. Wie gut er seinen neuen Freund verstand. Er kannte es ganz genau, dieses Aufkeimen eines Verdachts, das einen fast körperlich quälte. Und dennoch musste er als Polizeiangehöriger eines besonders gut bezähmen: seine Ungeduld. In seiner Lehrzeit hatte man ihm eingebleut, an eine Person niemals auf Verdacht, sondern nur mit belastenden Indizien heranzutreten. Doch darauf konnte er in diesem Fall keine Rücksicht nehmen. Das, was Julius ihm erzählt hatte, in Verbindung mit dem heutigen Zeitungsartikel, alarmierte ihn. Ja, dachte Lischka, irgendetwas war faul am Kunsthistorischen Museum. Irgendetwas hinter den Kulissen war unheimlich und falsch. Dass ein Kunstexperte seine Meinung über das Rubens-Gemälde in einem Schreiben an die Zeitung revidierte und danach Selbstmord beging, und das, nachdem dieses kalte Weib Luise von Schattenbach ihn besucht hatte! Lischka musste nicht lange nachdenken, um zu wissen, dass der Bildermörder nicht der einzige Verbrecher war, der im Umkreis der kaiserlichen Galerie sein Unwesen trieb.
Links von ihnen streckten die Bäume des Schwarzenbergparks die nackten Äste in den dunklen Himmel.
„Aber was genau ist denn dein Verdacht?“, wandte er sich wieder an Julius. „ Was genau, denkst du, treiben die Schattenbachs und dieser Kinsky?“, wollte Lischka wissen.
„Ich sage dir, sie fälschen Gemälde und verkaufen die Originale. Die Fälschungen
Weitere Kostenlose Bücher