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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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schwach
erleuchtet. Durch einen Druck auf den blankgeputzten Knopf öffnete sich die Tür
automatisch. Ich trat in den Flur, knipste das Minutenlicht an und murmelte vor
der Conciergesloge etwas, was mehrere
Interpretationen zuließ: Rosembaum, Lautréamont oder Fantomas . An dem Haus hatte der Zahn der Zeit genagt. Die
großzügigen Wohnungen waren zu kostspielig geworden für Vermögen, die von der
Geldentwertung so langsam aufgefressen wurden. Wirtschaftsunternehmen hatten
sich hier breitgemacht. Auf einem Schild am Ende des Flures konnte man lesen,
welche Firmen in welchen Etagen zu finden waren. Die Treppe ließ noch die Zeit
erahnen, in der das Haus von Großbürgern bewohnt gewesen war. Ich ging hinauf.
Ein Teppich dämpfte meine Schritte. Der rote Plüsch des Geländers faßte sich
weich an. Ich mußte meinen Rosembaum selber finden. Schaffte ich’s nicht, war’s
immer noch Zeit, die Concierge zu wecken.
    Die ersten drei Etagen bestanden aus
je einer einzigen Wohnung. Die Mieter waren: ein Arzt, eine Filmgesellschaft
und jemand, der es nicht für nötig hielt, ein Namensschild anzubringen. Die
zwei Etagen darüber waren weniger aufwendig. Zwei Türen pro Absatz. Zwei
Gesellschaften und zwei Privatpersonen, weder Gesellschaft noch Unternehmen,
mit ganz normalen Namen. Darüber gab es noch eine weitere Etage, die man von
der Straße aus nicht sehen konnte. Mansarden, ursprünglich fürs Personal
eingerichtet. Ich schlußfolgerte , daß mein Rosembaum
in der dritten Etage wohnen mußte. Und genau dort hatte ich ein schwaches Licht
gesehen. Ich ging wieder hinunter in die dritte.
    Bevor ich läutete, legte ich mein Ohr
ans Schlüsselloch und lauschte. Nichts. Ich läutete, abwechselnd kurz und lang,
rhythmisch, phantasievoll. Wie ein guter Freund, der nicht mit dem
Gerichtsvollzieher verwechselt werden möchte. Keine Reaktion. Ich versuchte es
nochmal und wartete. Jetzt glaubte ich, Bewegung in der Wohnung zu vernehmen.
Und dann wurde eine Vase oder ein Blumentopf umgeworfen und ging mit einem
dumpfen Geräusch kaputt. Dann spürte ich, daß jemand hinter der Tür stand.
Schließlich hörte ich ihn auch. Er atmete wie ein Stier. Ein Asthmatiker oder
einer, dem die Luft bei nächtlichen Besuchen wegbleibt.
    „Öffnen Sie, Monsieur Rosembaum!
Polizei!“ rief ich, um ihn zu beruhigen. Zu spät fiel mir ein, daß ihn das ja
vielleicht gar nicht beruhigte.
    Durch die Tür war ein Knurren zu
vernehmen. Zusammen mit dem Keuchen der Lokomotive hörte sich das an, als
würden drinnen halsbrecherische Gymnastikübungen vollführt. Das Öffnen des
Riegels — fester verschlossen war die Tür nicht! — ging dagegen sehr leise
vonstatten.
    Im Türspalt sah ich eine mittelgroße,
untersetzte Gestalt. Der alte Mann lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen
die Tür. Sah aus, als wär er der Länge nach durchgeschnitten. Ich sah nur die
linke Seite. Der Kopf jedoch war geneigt und deshalb ganz zu sehen.
    Wenn das Raymond Rosembaum war, dann
stand er zum ersten Mal vor mir. Seine jüdischen Gesichtszüge waren so sehr
ausgeprägt, daß er aus der Feder von Caran d’Ache zu stammen schien. Davon abgesehen, hatte er eine
bleigraue Gesichtsfarbe, wasserblaue Augen und einen verschleierten Blick. Sein
Gesicht war schweißbedeckt. Seine langen Haare hingen ihm in die Stirn,
Korkenzieherlocken, fettig, feucht, verklebt. Sein linker Arm hing am Körper
herunter...
    ...und am Ende des Armes hing ein
Revolver!
    Trotz dieses Details machte er keinen aggressiven
Eindruck. Eher blaß in den Knien. Und stumm wie ein Fisch, von den
Rasselgeräuschen in seiner Kehle mal abgesehen.
    Ich drückte leicht gegen die Tür. Der
alte Mann verlor das Gleichgewicht, der Revolver fiel ihm aus der Hand, und er
sackte in sich zusammen. Mit seinem Körper blockierte er die Tür. Ich schaffte
es trotzdem, in die Wohnung zu gelangen. Ich schloß die Tür von innen und
beugte mich über Rosembaum.
    Niemals würde er mir sagen können, ob
er für Monsieur Ailot Duplikate des Schmucks meiner Klientin angefertigt hatte.
Niemals. Der Juwelier hatte die Lupe für immer aus der Hand gelegt. Er war
mausetot.
    Wegen der blutverschmierten Haare
hatte ich die Wunde an seiner Schläfe nicht sofort bemerkt. Möglicherweise
hatte das den Tod herbeigeführt. Aber da mußte noch was anderes sein. Die Blutflecken auf dem Boden stammten wahrscheinlich aus einer
größeren Wunde.
    Die Blutspur führte mich in ein
Zimmer, wo eine gewisse Unordnung herrschte. Verrutschter

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