Das stille Gold der alten Dame
Teppich, umgekippter
Stuhl, verschiedene Sachen, die vom Schreibtisch gefallen waren und nun auf dem
Boden lagen. Der Telefonhörer baumelte an der Strippe. Ich ließ ihn baumeln. In
einem geöffneten Kasten sah ich ein paar Kontobücher, in schwarzes Tuch
gebunden. Auf dem Schreibtisch lagen zwei ähnliche Bücher, eins davon ziemlich
ramponiert. Daneben lag ein Brieföffner mit goldenem Griff. Ein richtiger
Dolch. Die breite, lange, spitze Klinge war voller Blut. Der Griff dagegen war
sauber. Sehr sauber. Nach Gebrauch säubern! Fingerabdrücke würde man darauf
wohl vergeblich suchen. Sowohl auf dem Griff als auch in der gesamten Wohnung.
Hübsch aufpassen, Nestor, daß man deine nicht finden wird! Die schmucklosen,
trockenen Kontobücher machten mich neugierig. Sah so aus, als hätte es um die
beiden schwarz eingebundenen Bücher einen Kampf gegeben. Dabei hatte es sich
bestimmt nicht um eine Steuerprüfung gehandelt. Steuerbeamte nehmen keinen
Dolch, wenn sie zuschlagen...
Ich umwickelte meine Hand mit einem
Taschentuch und öffnete das ramponierte Kontobuch. Aber ich verstand nur
Bahnhof. Alles Fachchinesisch für mich. Zahlen, Zeichen, auch übliche Wörter.
Ich hatte keine Zeit, den Quatsch zu entschlüsseln.
Als ich um den Schreibtisch herumging,
verfing ich mich mit den Füßen in dem Telefonkabel. Es war aus der Wand gerissen.
Klar, daß ich beim zweiten Mal keine Verbindung bekommen hatte! Und es war auch
nicht Rosembaum gewesen, der mir beim ersten Mal geantwortet hatte. Rosembaums Stimme kannte ich nicht. Jetzt war’s auch zu
spät, um sie jemals kennenzulernen. Der Kerl, der mir am Telefon geantwortet
hatte, der Kerl, der den Juden umgebracht hatte, der Kerl... Ja, ich glaubte,
ich wußte, wer das war.
Ich ging zu Rosembaums Leiche zurück. Überflüssig, sie auf den Rücken zu drehen, um zu sehen, ob der
Brieföffner hier oder woanders gelandet war. Das machte den Juwelier auch nicht
wieder lebendig. Der Alte war mutig gewesen, widerstandsfähig und hartnäckig.
Sein oder seine Mörder hatten ihn schon für tot gehalten. Doch er hatte mit
ihnen gerungen, so lange er eben konnte. Ein zäher Bursche, dieser Rosembaum!
Leider war das Telefonkabel aus der Wand gerissen
worden. Sonst hätte er bestimmt Alarm geschlagen, auch wenn jede Hilfe zu spät
gekommen wäre. Als ich dann an der Tür geläutet hatte, hatte sich der Sterbende
vom Büro zur Tür geschleppt, dabei eine Vase umgeworfen, war gegen Möbel
gestoßen, hatte den Revolver aus einem Geheimfach geholt. Hätte er die Waffe
doch schon während der Balgerei mit seinem Mörder in Reichweite gehabt! Das
Wort „Polizei“ hatte ihn tatsächlich beruhigt und ihm die nötige Energie
verliehen, sich an der Tür hochzuziehen und sie zu öffnen. Ein zäher Bursche,
aber der Tod war stärker gewesen als er. Ich war zu spät gekommen. Ein paar
Minuten früher, und er hätte mir einiges erklären können. Aber jetzt...
Jetzt mußte ich mich schnellstens
davonmachen. Der Tote gehörte den Flics . Sollten die
ihn auch ruhig finden. Und ich war besser bedient, wenn ich nicht auch noch in
diese Sache verwickelt wurde. Hoffentlich hatte ich Glück. Schließlich wußte
René, die Fledermaus, daß ich mich für Rosembaum interessiert hatte. Na ja, man
würde sehen!
* *
*
Auf die Gefahr hin, von Alpträumen
geschüttelt zu werden, dachte ich vor dem Einschlafen noch kurz an Roger Lozère , meinen nächtlichen Besucher von gestern, den jungen
Judoka mit dem unkonventionellen Benehmen. Ich mußte einfach an ihn denken.
Seine Stimme war es nämlich, die ich an Rosembaums Telefon gehört hatte. Ich glaubte, ich täuschte mich nicht.
Kleine Gespräche erhalten die Freundschaft
Um zehn stand ich auf. Um elf kaufte
ich mir die Morgenzeitungen, ging wieder in mein Zimmer, um sie in aller Ruhe
zu lesen. Der Crépu berichtete über den Mord
in der Avenue Kléber .
Rosembaums Diener, der im selben Haus unterm
Dach wohnte, hatte die Tragödie entdeckt, als er um sieben Uhr seinen Dienst
antreten wollte. Die Polizei nahm an, daß Rosembaum seine Mörder selbst in die
Wohnung gelassen hatte (keine Spur von Gewaltanwendung an der Tür). Es mußte
einen Kampf gegeben haben. Rosembaum war mit dem Kopf auf die Schreibtischkante
geknallt (Blut und Haare an der Kante). Dann war er mit seinem eigenen
Brieföffner erstochen worden. Die Tatwaffe gab also keinen Aufschluß über Rosembaums Gast (oder Gäste). Man konnte nur annehmen,
daß es sich nicht um
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