Das stille Gold der alten Dame
Und wenn Sie
darum bitten, daß es auch dabei bleibt, dann nicht in diesem Ton! Könnte sonst
‘ne Enttäuschung geben. Übrigens trägt die Mörderin gar nicht Ihren Namen. Und
noch was: Wenn durch den Skandal Ihr Name beschmutzt wird, ist das nicht meine
Schuld. Ich bin nämlich dazu da, Skandale zu verhindern, und nicht, sie
anzuheizen. Darum machen Ihre Drohungen auch keinen Eindruck auf mich. Guten
Abend, Monsieur.“
Ich stand auf. Er blieb sitzen.
„Ausgezeichnet“, sagte er. „Ich möchte
Sie jedenfalls hier nie mehr sehen.“
„Das kann ich Ihnen allerdings nicht
versprechen. Madame Ailot ist meine Klientin. Ich soll ihr den Schmuck
wiederbeschaffen, und von Zeit zu Zeit werd ich ihr
Rechenschaft ablegen müssen...“
„Das können Sie auch telefonisch. Ob
Sie den Schmuck finden oder nicht, ist mir gleich, aber...“
„Der Schmuck ist Ihnen also gleich?“
„Vollkommen. Einige Stücke gehören
meiner Frau, andere stammen aus meiner Familie, aber sie hat ihn getragen...
Mir ist es jedenfalls gleich. Ich will nur...“
„Ja, ja, ich weiß. Ihren Namen vor
Verunreinigung bewahren, oder wie man das nennen soll. Ich sag’s Ihnen nochmal:
An mir soll’s nicht liegen. Von mir aus können Sie ihn alle erhobenen Hauptes
tragen, Ihren Namen. Madame Ailot, Ihr Sohn, Sie selbst.“
Was hatte ich so Sensationelles
gesagt? Monsieur Ailot verlor völlig die Fassung. Gleich würde er sich auf mich
stürzen und mich kaltmachen.
„Raus!“ brüllte er. „Gehen Sie zum
Teufel, Sie und diese verfluchte Frau!“
Ich machte mich aus dem Staub. Auf dem
Flur war weit und breit kein Jérôme zu sehen. Aber ich war alt genug, um
alleine rauszufinden. In der Eingangshalle sprach mich jemand von hinten an.
Ich drehte mich um. Vor mir stand der Sohn des Hauses, André. Er schien mir
aufgelauert zu haben. Der Junge schlief entweder zuviel oder zuwenig . Immer hatte er verquollene Augen und
einen leeren Blick.
„Guten Tag, M’sieur “,
sagte er. „Wollen Sie zu Mama?“
„Nein“, sagte ich. „Entschuldigen Sie
mich bei ihr. Sie ist bestimmt freundlicher und höflicher als Ihr Vater.“
Ich sah mir sein Gesicht näher an.
Sicher, Söhne sind nicht verpflichtet, ihren Vätern zu ähneln. Aber irgendwas
kann man im allgemeinen immer entdecken: einen
Gesichtszug, einen Ausdruck, ein Familiengesicht, wie man so sagt. Das dürfte
in Passy nicht anders sein als woanders. Na ja, etwas von Mamas Gesicht konnte
man bei André wiederfinden. Aber von Monsieur Ailot... keine Spur... Tja...
„Ja?“ hakte der Junge nach, als er
sah, daß ich mit meinen Gedanken ganz woanders war.
„Entschuldigen Sie, wenn ich so offen
bin“, sagte ich lächelnd. „Aber die Unterhaltung mit Ihrem Vater hat mir für
heute gereicht.“
Er lächelte ebenfalls.
„Verstehe. Was wollte er von Ihnen?“
„Erst mal: mich beschimpfen. Dann mich
bitten, den Skandal nicht weiter anzuheizen.“
„Ja, ja. Er ist sehr wütend, daß Mama
Ihre Dienste in Anspruch genommen hat. Dabei ist es doch nicht Mamas Schuld,
wenn Suzanne...“
„Er meint wohl, Ihre Mutter hätte mich
ausschließlich zum Vergnügen engagiert. Immerhin ist ihr Schmuck gestohlen
worden. Aber ich sollte Ihnen das vielleicht gar nicht erzählen.“
„Ich weiß Bescheid.“
„Ja, das kommt davon, wenn man an der
Tür horcht...“
Er schwieg, wurde aber nicht mal rot.
„Ihm wär lieber gewesen, Ihre Mutter
hätte offiziell Anzeige erstattet, nicht wahr?“
„Das weiß ich nicht.“
„Ich hab den Eindruck, daß ihm nicht
viel daran gelegen ist, den Schmuck wiederzubekommen?“
„Auch das weiß ich nicht.“
André brachte mich hinaus. Ich ging
die Treppe hinunter, vorbei an der nackten Frau, die mit ihrer Lyra anscheinend
immer weniger anzufangen wußte.
Dann stand ich wieder auf der Rue du Ranelagh . Nestor Burma hatte sich wieder mal wie stinkender
Fisch behandeln lassen. Das Gute an ihm ist jedoch, daß er auch aus
Beschimpfungen seinen Nutzen zu ziehen weiß. Aus der lebhaften Unterhaltung mit
Monsieur Ailot ergaben sich so einige Schlußfolgerungen .
Monsieur Ailot liebte seine Frau nicht, um nicht zu sagen, er haßte sie. Einer
der Gründe dafür war wohl, daß André offensichtlich nicht von ihm stammte.
Monsieur Ailot war es egal, ob der Schmuck wiedergefunden wurde oder nicht.
Vielleicht neigte er sogar dazu zu hoffen, daß er nicht wiedergefunden wurde.
Die Brosche, die ich in der Rue Berton gefunden hatte, war eine Imitation. Schlußstrich .
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