Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
sie öffentlich zurückweisen. [6]
Die Kunst des Qi Gong ist für uns etwas ganz Neues und noch unbelastet von eingenisteten Fehlinterpretationen. Damit ist der Raum noch offen, in dem sie sich entfalten kann. Wir haben den Vorteil, in einer Epoche zu leben, in der Wissen und Weisheit alter Kulturen aus traditionellen Verkrustungen herausgelöst und in einer neuen, frischen Weise verstanden und nutzbar gemacht werden können. Die Vielfalt der Informationen, die uns heute vermittelt werden, ermöglicht uns einen nie da gewesenen Überblick über die Resultate menschlichen Erkenntnisstrebens. Wir haben das Gefühl, aus einem ungeheuer großen Angebot frei auswählen und uns für das »Beste« entscheiden zu können. Dieses Gefühl kann sich jedoch auch steigern zum Eindruck, von einer Fülle fremdartiger Angebote überschwemmt zu werden. Das kann eine Abwehrhaltung hervorrufen, die dem schon Bekannten die größere Vertrauenswürdigkeit und damit die höhere Qualität zuspricht; diese Haltung ist nicht weniger extrem als die blinde Begeisterung für exotische Neuheiten. Um also einen möglichst unbeeinträchtigten Standpunkt der vorläufigen Beurteilung zu gewinnen, ist es nötig, dass wir uns Klarheit über unsere Art und Weise der Wahrnehmung und des Verständnisses verschaffen.
Es gibt Leute, die auf die Idee, dass es eine alles durchdringende, Leben überhaupt erst ermöglichende Energie oder Substanz wie Qi geben könnte, verachtungsvoll herabschauen, weil sie »wissenschaftlich nicht beweisbar« sei. Und es gibt andere, die mit missionarischem Eifer für die Anerkennung dieser Idee kämpfen, als hinge ihr Leben davon ab, die Bestätigung anderer für ihre Meinung zu erzwingen.
Für das Bewusstsein der Anhänger des materialistisch-mechanistischen Weltbildes gilt, was Frank E. Manuel über den Erfinder dieses Weltbildes, Isaac Newton, schreibt:
Eine der wichtigsten Quellen für Newtons Drang nach Wissen war seine Furcht und Angst vor dem Unbekannten. Wissen, das in mathematische Formeln gebracht werden konnte, vermochte seiner quälenden Unsicherheit und Ungewissheit ein Ende zu bereiten … Die Welt in solch absolutistischer Art und Weise zu strukturieren, dass jegliches Ereignis, das heißt sowohl das nächstliegende als auch das entfernteste, fein säuberlich in das erdachte System passt, ist als Zeichen von Krankheit bezeichnet worden, vor allem, wenn sich andere weigern, sich diesem zwanghaften System anzuschließen. Es war Newtons Glück, dass die Gesellschaft Europas einen großen Teil seines gesamten Systems als ein perfektes Abbild der Wirklichkeit akzeptierte, so dass sich sein Name aufs engste mit seinem Zeitalter verband. [7]
Wer andererseits den Standpunkt des Alles-ist-Möglich vertritt und der Irrationalität huldigt, ist damit nicht gleich ein Vorkämpfer für ein neues Bewusstsein. Beide Positionen sollten wir bei der Annäherung an das Qi Gong vermeiden. Im Qi Gong wird mit Imagination, Vorstellung und willentlicher Steuerung einer unsichtbaren »Energie« – oder wie auch immer wir das Qi mit unseren Begriffen einzukreisen versuchen – gearbeitet. Dennoch haben wir es mit einem System zu tun, in dem keine Willkürlichkeit herrscht. Damit richtig umzugehen, verlangt ein angemessenes Verständnis; es ist eines der Anliegen dieses Buches, denjenigen Ansatz deutlich zu machen, der uns hilft, alte und neue Fehler zu vermeiden.
In Gesprächen mit chinesischen Vertretern des Qi Gong fiel mir auf, dass sie immer wieder betonten, wie wichtig es sei, dass Qi Gong wissenschaftliche Anerkennung finde, und häufig die Ergebnisse der chinesischen Qi-Forschung zitierten, in der Annahme, die Menschen des Westens seien ebenso wie die des kommunistischen China noch zutiefst mit der Weltanschauung des 19. Jahrhunderts identifiziert. Doch scheint mir dies nicht so vordringlich das Problem der heutigen westlichen Qi-Gong-Aspiranten zu sein. Wir sind der Enge der »wissenschaftlichen Beweisbarkeit« recht müde geworden, seitdem immer deutlicher erkennbar wird, dass damit keinerlei Qualitätsgarantie verbunden ist. Die Homöopathie zum Beispiel gilt noch immer als eine medizinische Methode, die sich aller wissenschaftlichen »Erklärbarkeit« entzieht. Dennoch hat ihre Wirksamkeit längst viele Patienten und auch Schulmediziner überzeugt, nicht anders als die ebenfalls lange misstrauisch abgewehrte Akupunktur, der Yoga oder andere alternative, »unwissenschaftliche« Heilmethoden. Hingegen
Weitere Kostenlose Bücher