Das Stockholm Oktavo
meinem Schwager oben etwas passiert ist, wandern Sie ins Zuchthaus. Aber wenn Sie den guten Ruf der Nordéns ruinieren, dann wird Ihnen weitaus Schlimmeres zustoßen.« Margot ließ Johanna los und wandte sich wieder an die alte Köchin: »Ihre Herrin verlangt, dass im Salon starker Kaffee serviert wird, um die Leute wieder wach zu machen. Wir müssen dem Werk des Teufels entgegenwirken, wenn wir können.« Sie stieg die ersten Stufen hinauf, dann drehte sie sich noch einmal zu Johanna um. »
Réveillez-vous, Mademoiselle
. Wachen Sie auf!«
Der Duft des Kaffees und das Scheppern des Geschirrs auf den Servierwagen weckte die Gäste – außer Lars Nordén, der friedlich in seinem Lehnsessel schnarchte. Die Diener gingen von Fenster zu Fenster und zogen die Vorhänge zurück, man sah die schwarzen Silhouetten der Bäume vor dem winterlich schwachen Schein des Sonnenuntergangs. Die Gesellschaft stärkte sich an dem aufwendigen Buffet, aber die Gespräche waren gedämpft und mit Pausen durchsetzt, besorgte Blicke hefteten sich auf Lars. Die Mütter fürchteten um das Wohlergehen des Mannes, die jungen Damen fragten sich, ob sie wohl je solches Können erlangen würden, und die Herren versicherten sich gegenseitig, dass es sie selbst nie so hart treffen könnte. Der starke Kaffee und das süße Gebäck belebten sie jedoch bald alle wieder, und binnen einer Stunde hatten Gelächter und das Rascheln der Fächer wieder die Oberhand über die trübe Stimmung gewonnen.
Meister Fredrik beobachtete alles still und wartete, bis Johanna sich eine Tasse Kaffee holte, in die sie zitternd Zucker rührte. »Fräulein Blom!«, rief er laut und lief rasch zu ihr, seine Schuhe huschten über das Parkett wie Zwillingskäfer. »Ganz kurz, Fräulein Blom.« Er führte sie zu zwei Stühlen an der Wand, und sie setzten sich, wobei er ihren Arm nicht losließ. »Oder sollte ich sagen: Fräulein Grå.« Sie sah ihn alarmiert an. »Ich sehe, Sie erinnern sich an Ihren eigentlichen Nachnamen.« Er nahm ihre Hand und drückte sie fest. »Über mich wurden üble Reden geführt, Fräulein Grå, so übel, dass meine Erhebung in den Adelsstand gefährdet ist.« Er beugte sich zu ihr und zischte ihr ins Ohr: »Madame behauptet, die Quelle seien Sie!«
Johanna verkrampfte sich. »Ich habe Sie oft am Järntorget gesehen, wo Sie gebrauchte Kleider gekauft haben, die Sie sicherlich selbst tragen wollten. Ihr Vergnügen dabei war offensichtlich. Ich wollte Madame mit diesen Geschichten nur aufheitern.«
Master Fredrik war blass, die Adern an seinen Schläfen schwollen an. »Was geht es Sie an, was ich kaufe? Ich habe eine Frau, Sie dumme Schwätzerin!« Er kniff ihr in die Haut am Handrücken. »Denken Sie an Ihre Schulden, Fräulein Grå. Können Sie sich denn nicht mehr entsinnen, wer Sie gerettet hat? Erst aus dem
Sauschwanz
, dann vor Ihrer Heimreise, die Sie unbedingt verhindern wollten? Ich habe Sie gerettet, Fräulein Grå, ich!«
»Ich weiß, dass ich in Ihrer Schuld stehe, Meister Fredrik«, sagte Johanna, noch stöhnend von dem brutalen Kniff. Sie spürte, dass sich ihr Mantel der Sicherheit mit jedem Wort auflöste.
»Und glauben Sie nicht, ich hätte meine eigenen Nachforschungspflichten vernachlässigt, Fräulein Grå!«, zischte er. »Da gibt es einen Herrn Stenhammer, der noch immer nach seiner Verlobten sucht. Wie es scheint, will er sie ordentlich bestrafen, nachdem er sie in sein schmutziges Bett gezerrt hat!«
»Sie sind wirklich ein Kavalier, Herr Lind, dass Sie Fräulein … Fräulein Grå – heißt sie so? – vor einer unziemlichen Verbindung bewahrt haben!« Die Uzanne stand Arm in Arm mit Anna Maria vor ihnen. Beide strahlten vor Freude über diese Informationen, kostbar wie Juwelen. »Aber nun scheinen Sie Streit mit ihr zu haben.«
»Ja.« Meister Fredrik stand auf und verstärkte seinen Griff um Johannas Hand noch. »Dieses Mädchen hat meinen guten Ruf besudelt.«
Die Uzanne beugte sich zu seinem Ohr vor, ihre Lippen teilten sich zu einem Lächeln, als würde sie ihm das schmackhafteste Häppchen Tratsch anbieten. »Keiner ist frei von Sünde, Herr Lind, der eine hat viel, der andere weniger Schlimmes getan. Ich bin gewiss, dass Fräulein Blom Ablass erteilt werden kann. Bei Ihnen bin ich mir jedoch nicht so sicher.« Die Uzanne befreite Johanna aus Meister Fredriks Griff. »Ich möchte Sie daran erinnern, dass Fräulein Blom mir untersteht und Sie sie daher nicht mehr anrühren werden.« Sie hakte sich bei
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