Das Stockholm Oktavo
über sich und ließ seine Hände darunter ringen: Die rechte wollte, dass er unbedingt gleich zu Emil Larsson fuhr, die linke trieb ihn ins Schreibwarengeschäft. Olafsson würde Punkt halb fünf schließen. Käme er auch nur eine Minute zu spät, könnte er seinen Auftrag nicht rechtzeitig für die Morgenpost erledigen – und Madame brauchte keinen zusätzlichen Grund, um ihn zu ruinieren. »Ach, Frau Lind, meine Jungen! Ihr habt doch gar nichts falsch gemacht!«, jammerte er laut. Er lehnte sich hinaus und rief dem Kutscher zu: »Wenn Sie mich vor halb fünf zur Drottninggatan bringen und gegen fünf Uhr eine Nachricht im Haus der Murbecks in der Skräddargränd abliefern, bezahle ich Ihnen das Doppelte!« Meister Fredrik hörte die Peitsche knallen und wurde von den zügig antrabenden Pferden in den Sitz gedrückt.
Kapitel 41
Nächstenliebe
Quellen: E. L., Frau M., Mikael M., J. Blom
Noch einmal klopfte es leise an die Tür, dieses Mal aber dringlicher. Dass Carlotta offenbar ohne weiteres an Frau Murbeck vorbeigekommen war, bekundete ihre Sehnsucht! Ich warf erst einen Blick in den Spiegel und glättete mein Haar, dann ging ich zur Tür, zog sie langsam auf und lächelte in Erwartung ihres prachtvollen honigblonden Haars, des Duftes nach Orangenpomade und ihrer Aprikosenlippen, die nach einem Kuss trachteten. Und da war sie – allerdings nur in meiner Phantasie. Denn vor der Tür stand jemand ganz anders: das Mädchen mit dem blassen ovalen Gesicht, eine Strähne aschbraunen Haars lugte unter ihrer Haube hervor, ihre Wangen waren dunkelrot vor Kälte. Sie war ganz in Grau gekleidet und ähnelte wieder sehr viel mehr dem Mädchen aus dem
Sauschwanz
als der adligen Protégée der Uzanne. Ich spürte, wie mein beflissenes Lächeln sich zu einem ungläubigen »Oh« verzog. »Sie?«, fragte ich barsch. »Ich habe wenig Zeit, Fräulein … Blom. Ich erwarte wichtigen Besuch.«
»Ich bin Ihr Besuch, Herr Larsson«, sagte Johanna ganz gelassen.
»Nein, ich habe heute Morgen einen Brief erhalten, unterzeichnet mit
C
.« Meine Stimme wurde schrill vor Enttäuschung.
»
Ich
habe diesen Brief geschickt.«
Ich beugte mich zu ihrem geröteten Gesicht herunter. »Ach, wirklich? Mir wurde gesagt, Sie seien Fräulein Blom. Oder haben Sie etwa einen anderen Namen?«
»Das wissen Sie doch, Herr Larsson, ich heiße Johanna Grå, aber diesen Namen habe ich aus gutem Grund abgelegt.« Sie drehte sich weg. »Es hat mich erstaunt, dass Sie mich nicht verraten haben.«
»Ich bin kein müßiges Klatschmaul, ich denke praktisch«, sagte ich und beugte mich über das Treppengeländer, um zu prüfen, ob jemand uns hören konnte, aber alles war ruhig. »Was wollten Sie mit Ihrer verschlüsselten Nachricht bezwecken?«
»Ich konnte nicht ausschließen, dass jemand anders Ihnen diesen Korb überbringt. Und mir war wichtig, dass Sie auf mich warten, bevor Sie Ihrem Appetit nachgeben, Sekretär. Ich habe mit
G
für ›Grå‹ unterschrieben. Ich fand es besser, wenn Sie nicht wüssten, wer kommen würde, damit Sie mich nicht wegschicken.«
»Das kann ich immer noch«, sagte ich mit der Hand an der Tür. »Aus welchem Grund genau sind Sie hier?«
»Aus Nächstenliebe.« Sie blickte auf den Einkaufskorb, den sie trug. Er war mit einem gestärkten weißen Tuch bedeckt, das den Duft von Frischgebackenem jedoch nicht zurückhalten konnte. »Die Uzanne hat von Ihren Gebresten erfahren und wünscht, dass Sie gesunden.«
»Ja, sicher.« Ich hielt inne, um mir meine weitere Vorgehensweise zu überlegen. Vielleicht wollte die Uzanne meine Rekonvaleszenz beschleunigen, damit sie ihren Fächer schneller zurückbekäme. Unser Plan, Zeit zu schinden, war aufgegangen. Und vielleicht hätte Johanna Informationen zu tauschen. Ich nickte ihr zu und wollte den Korb nehmen, aber sie hielt ihn fest und regte sich nicht. Ich hörte von unten das leise Klicken von Frau Murbecks Tür. Johanna runzelte die Stirn bei dem Geräusch.
»Ich muss kurz mit Ihnen sprechen. Unter vier Augen«, sagte sie.
»Ganz kurz. Aber nicht sehr viel länger. Sie sind ein blasser Ersatz für Fräulein C., auf das ich gehofft hatte«, sagte ich, nahm sie eher unsanft am Arm und führte sie in meine Wohnung. Sie stellte den Inhalt des Korbs auf einer Anrichte ab: kleine Tontöpfe mit frischer Butter und Eingemachtem, eine reichhaltige Pastete, eine glänzende Wurst, zwei Laibe frischgebackenes Brot und Gebäck, das in Tücher eingeschlagen war. Mir lief das Wasser im
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