Das Stockholm Oktavo
weiß, arbeiten Sie beim Zoll und kennen sich in der Schifffahrt gut aus. Ich brauche eine Passage. Weg von hier. Ich habe Geld.«
»Sie wollen die Schiffskarte selbst bezahlen? Da bin ich mit meinem Leben ja billig davongekommen.«
»Und ich brauche eventuell ein Versteck, bis das Schiff ausläuft.«
»Ist das alles?« Ich drehte mich zu ihr um, ihr Gesicht war dem meinen ganz nah.
»Haben Sie den Fächer?«, fragte sie.
Ich zögerte, aber es konnte ja keinen großen Schaden anrichten, wenn ich ihn ihr zeigte. Ich hatte noch immer vor, mich mit Madame Sparv zu beraten, bevor ich Kassiopeia irgendwohin weggab. Ich ging ins Schlafzimmer, kehrte mit einem ganz gewöhnlichen, zusammengefalteten Musselinhemd zurück und reichte Johanna das Bündel. Sie beeilte sich nicht, sie setzte sich und faltete es vorsichtig auseinander wie eine Wirtschafterin, die die Bügelwäsche prüft. Als die blaue Schachtel vor ihr stand, wischte sie sich die Hände am Rock ab, bevor sie den Deckel anhob. Sie öffnete den Schmetterling und begutachtete ihn. Glücklich sah sie dabei aus. Sie blickte mich an. »Der ist wirklich hübsch.«
»Der Schmetterling. Er war für meine Verlobte.«
Mehr sagte ich nicht, und sie fragte nicht nach. Sie schloss den Fächer wieder und legte ihn auf den Tisch.
»Jede Frau würde einen solchen Fächer lieben. Jede außer einer.«
Ich nahm die Schachtel, entfernte mit den Zinken einer Gabel vorsichtig das Samtfutter an einer Seite und ließ Kassiopeia in Johannas Hand gleiten. Sie faltete den Fächer auf, studierte das Blatt mit dem düsteren Bild der leeren Kutsche. »So ein trauriger Anblick«, sagte sie, drehte das Blatt um und besah sich die Rückseite, die indigoblaue Seide mit den glitzernden Pailletten und Glasperlen. Sie betrachtete das Bild eine Weile, dann sagte sie: »Das hier unter dem Nordstern ist Kassiopeia.« Mit sichtlicher Freude strich sie über die fünf Perlen. »Der Fächerhersteller hat die Sterne sehr sorgfältig ausgearbeitet. Hier ist Kassiopeias Gemahl Kepheus und ganz unten ihre Tochter Andromeda sowie der Bauch des Drachen, die Sternbilder Giraffe und Dreieck und Perseus, der Erretter der Andromeda.«
Ihr Auge fürs Detail war beeindruckend. »In den humanistischen Fächern war ich nie gut«, nuschelte ich.
Sie lachte. »Meinen Sie etwa, ich hätte eine humanistische Bildung genossen, Herr Larsson? Mein Vater war Apotheker und brauchte eine Gehilfin, der er vertrauen konnte. Meine Mutter tat nichts anderes als beten, und meine Brüder sind tot, also gab es nur mich.« Sie öffnete und schloss den Fächer. »Er hat mir während der Arbeit manchmal griechische Mythen erzählt und mir ihre Entsprechungen am Himmel gezeigt.« Sie fuhr wieder mit dem Finger über das Himmels-W. »Königin Kassiopeia hat ihre Tochter Andromeda einem schrecklichen Seeungeheuer geopfert, sie wurde an einen Felsen im Meer geschmiedet.« Johanna rutschte unruhig auf ihrem Stuhl umher. »Die Königin war eine grausame Mutter, und der Vater hat gar nichts unternommen.«
»Das ist nicht ungewöhnlich«, sagte ich.
»Nein.« Sie blickte stirnrunzelnd auf den offenen Fächer auf ihrem Schoß.
»Und dann sind Sie weggelaufen.«
»Ja. Ich wollte nicht geopfert oder angekettet werden.«
»Und wie endet die Geschichte?«
»Die Tochter wurde gerettet.«
»Und Königin Kassiopeia bekam einen Thron im Himmel«, sagte ich.
Sie blickte mich an, die Falte auf ihrer Stirn glättete sich. »Das glauben viele, denn Himmelskarten sind statisch. Aber die Königin wurde für ihre Grausamkeit und ihren Dünkel bestraft, sie wurde an den Nordstern gekettet, wo sie nun endlos um den Pol kreist. Vielleicht gibt es ja selbst für mich noch Hoffnung.« Wieder besah sie sich den glitzernden Fächer, und wieder hellte sich ihr Gesicht vor Entdeckerlust auf. »In dieser Himmelsdarstellung steckt ein Fehler. Ein absichtlicher, würde ich sagen: Kassiopeia steht auf dem Kopf.«
Nun wurde mir klar, dass Madame Sparv diese Umkehrung herbeigeführt hatte, um Kassiopeias Zauber zu brechen und zu zeigen, dass die Königin machtlos und kopfüber am Himmel hing. Doch ich wollte hören, was Johanna dazu zu sagen hatte, und fragte: »Wozu das?«
Sie presste ganz reizend die Lippen zusammen und verzog sie langsam zu einem Lächeln, als sie darüber nachgedacht hatte. »Ich würde sagen, es ist eine subtile Beleidigung, wenn die Namensgeberin des Fächers auf dem Kopf steht. Vielleicht war es ein Spielchen unter Damen.«
»Ja, so
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