Das Stockholm Oktavo
geworden.«
»Wir lassen die Spielereien weg«, sagte sie. »Schlichte, aber mengenmäßig viele Kopien werden reißenden Absatz finden.«
»Reißender Absatz ist nicht das Ziel des Ateliers Nordén, Fräulein Plomgren.« Christian konzentrierte sich wieder auf die Anpassung eines winzigen perlenbesetzten Rings am Stiel. »Unser Ziel ist die Kunst.«
Anna Maria öffnete nacheinander die grauen Seidenfächer. »Ihre Kunstfertigkeit verdienen nur wenige, und viele würden für weniger mehr bezahlen. Das ist die Kunst, Geld zu machen.«
Christian legte den letzten Fächer auf das Leinentuch zu den anderen, er zog ihn glatt, bis er genau parallel lag und seine Hände aufhörten zu zittern. »Und was ist mit der Seele, die in die Arbeit einfließt?«
Anna Maria öffnete den Fächer, den Christian gerade fertiggestellt hatte, hielt ihn schräg nach unten vor ihr Gesicht und spähte an den Stäben entlang. »Links am Stiel ist ein kleines Medaillon eingearbeitet. Das geht kaum als Seele durch, und keine einzige dieser blöden Puten hat Seele genug, um es überhaupt zu bemerken.«
Christian räumte auf der Werkbank seine Gerätschaften ordentlich auf und legte eine besonders spitze Ahle beiseite. »Fräulein Plomgren, Sie arbeiten in der Oper. Haben Sie je eine Vorstellung besucht?«
»Neulich saß ich in Loge 3 «, sagte sie und drehte den Kopf, als stände sie im Rampenlicht. »In
Orfeo
. Mit Madame Uzanne.«
»Und ist Ihnen aufgefallen, dass alle im Publikum das Timbre der Musik erfasst haben? Dass sie der Partitur gefolgt sind? Orpheus’ Leidenschaft für seine Eurydike gefühlt haben?«
»Nein.« Lachend zuckte sie mit den Schultern. »Zwei, drei Leute vielleicht. Aber größtenteils hat das Publikum geschlafen, auf die Taschenuhr gesehen, im Programmheft gelesen, Süßigkeiten gegessen, geredet. Und der Rest hat sich gegenseitig angesehen – mich angesehen!«
»Und deswegen sollten die Sänger die Absichten des Komponisten oder die Poesie des Librettos ignorieren? Sollten die hohen Töne weggelassen werden? Sollten die Leute den Mund aufmachen und schreien wie die Esel?«
Anna Maria wandte sich an Lars: »Was, in Dreiteufelsnamen, haben Esel mit Fächern zu tun?«
Lars entdeckte das Fächerblatt, das Christian im Moment für Frau von Hälsen bemalte. »Ist das Hühnerhaut? Bist du verrückt, Christian? Wir gehen bankrott!«
Anna Maria schlug mit der Faust auf die Werkbank. »Was, im Namen des eiterbeuligen Arschs des Teufels, hat das mit Hühnern zu tun?«
Kapitel 45
Der letzte Reichstag
Quellen: Lakai von Gullenborg, J. Blom, Madame S., Hauptmann J. vom Nordtor
Eine schwarze Reisekutsche mit Kufen stand am Nordtor der Stadt, die Pferde dampften unter Wolldecken. Ein fetter Kutscher, in einen dicken Wintermantel gehüllt, klopfte an die Scheibe, die außen mit Eisblumen und innen vom Atemdunst der Passagiere beschlagen war. Die Tür ging einen Spalt auf, und er schob seine Hand in die Öffnung, um ein bisschen wärmere Luft abzubekommen. »Madame Uzanne, es heißt, es könne Stunden dauern, bis wir eine amtliche Antwort bekommen. Am besten, wir fahren zurück in die Stadt und warten dort auf die Reisepapiere.« Die Tür schlug zu, und nur die Pelzhandschuhe des Kutschers verhinderten, dass seine Finger brachen. Aufheulend stieß er einen Schwall Flüche aus, dann sah er ein blasses Gesicht an der Scheibe – jemand hörte ihm zu. »Diese Fotze kann von mir aus erfrieren und in der Hölle wieder auftauen!«, brummte er und stapfte zurück zum Torhaus. »Und ihre läufige Hündin gleich mit!« In den Schnee war schon eine gute Trasse geschlagen, denn seit der Reichstag einberufen worden war, wurden in einem fort Menschen und Luxusgüter mit Schlitten nach Norden befördert. Der Kutscher klopfte den Schnee von seinen Stiefeln und betrat die Hütte. Es stank nach nasser Wolle und ungewaschenen Soldaten, gekochtem Kohl und Kümmel. »Sie behauptet, Herzog Karl hätte sie nach Gävle gerufen und die Papiere müssten schon hier sein.«
»Der Herzog kam vor zwei Tagen mit seiner Gemahlin hier durch.« Der Hauptmann spuckte ins Feuer, die Kohlen zischten. »Es gibt keine Papiere, zum Teufel noch mal! Die Herzogin duldet die Ballettmädchen, aber keine Baroness.«
»Dann sagen Sie ihr das selbst, mein Freund. Ich würde meinen Kopf gern auf dem Hals behalten und nach Hause fahren.« Der Kutscher wärmte sich am Ofen. »Sie ist aus Eis, und ohne eine warme, feste Hand, die sie hier wegbringt, wird sie
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