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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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versuchte.
    »Sagen Sie bitte der alten Köchin, was Sie für mich herstellen, Fräulein Blom«, forderte die Uzanne sie auf. »Sie glaubt, dass Sie etwas im Schilde führen.« Mit großen Augen drehte sich Johanna zu ihr um. »Besser noch: Zeigen Sie ihr, was die Mixtur bewirkt.« Johanna rührte sich nicht. »Es ist wichtig, dass wir das für alle Zeiten klären.«
    Johanna stellte ihre Tasse auf dem Haublock ab und zog den Fächer aus ihrer Tasche, den sie fest in eine Serviette gewickelt hatte.
    »Das ist mein gutes Leinen!«, rief die alte Köchin.
    Die Uzanne stand auf und stellte sich neben Johanna. »Die Köchin ist ein fast perfektes Objekt – Alter, Größe, Gewicht … und das absolute Fehlen von Testikeln!«, sagte sie gelassen. »Tun Sie es, Johanna. Sie waren in meinem Unterricht. Fräulein Plomgren behauptet, Sie würden jede ihrer Bewegungen nachahmen. Ich weiß, dass Sie geübt haben.«
    »Madame, ich …« Langsam wickelte Johanna den Fächer aus, sie achtete darauf, das Pulver nicht zu schütteln. »Halte ich ihn so richtig?« Linkisch öffnete sie den Fächer und drehte ihn nach oben, wobei sie die letzten drei Stäbe geschlossen hielt.
    »Ist das wieder eines Ihrer Schlafmittel?« Die alte Köchin stellte die Tasse auf den Boden und hievte sich vom Stuhl. »In meiner Küche gibt es ab jetzt keine Hexereien mehr!«
    »Es ist meine Küche!«, sagte die Uzanne und riss Johanna den Fächer aus der Hand. Mit zwei raschen Drehungen der Hand klappte sie die Rückseite auf und pustete in den hohlen Schaft, damit das Pulver ins Gesicht der Köchin wehte. Die alte Frau hustete und schnaubte und wedelte mit den Händen, dann hielt sie inne und wartete. Johanna hielt den Atem an, sie wusste nicht, wie die inhalierten Giftmorcheln wirkten. Nichts geschah. Die Uzanne lachte wie über einen Aprilscherz. »Sehen Sie, Köchin? Es ist nur ein leichtes Schlafmittel.« Die Uzanne sah Johanna an. »Jetzt setzen Sie sich und trinken Ihren Tee. Fräulein Blom bleibt bei Ihnen, bis Sie zu Bett gehen wollen. Der Krieg ist vorbei.«
    Die beiden sahen zu, wie die Uzanne die Stufen hinaufging und ihre Silhouette dabei vom Schein einer Kerze umspielt wurde. Dann hörten sie, wie die Kellertür ins Schloss fiel. Syltens Nachfolger wurde aus seinem Schlummer geweckt und sprang der alten Köchin schnurrend auf den Schoß. Außer gelegentlichen Hustenanfällen und dem Huschen einer Maus war nichts zu hören. Nach einer halben Stunde schnarchte die alte Köchin.
    Johanna erhob sich und ging auf Zehenspitzen zur Treppe, die Tür oben war jedoch verschlossen. Eine Kaminuhr schlug leise elf. Sie ging in die Küche zurück und legte sich auf die Bank, ihre Gedanken überstürzten sich: Vielleicht waren die Giftmorcheln abgekocht gewesen oder zu alt oder als Pulver kaum wirkungsvoll. Sie müsste Antimon nehmen. Aber wie sollte sie die Uzanne allein erwischen? Und was würde die alte Köchin tun, wenn sie erwachte? Johanna starrte in die glimmenden Kohlen, die im schwarzen Maul der rußigen Ziegelsteine rot aufblitzten, und dachte zum ersten Mal an die Hölle. Wie war sie an diesem kalten, eisigen Ort gelandet, der zweifellos die Pforte des Teufels war – wo sie eine alte Köchin als Versuchsobjekt betrachtete, wo sie ihre Kenntnisse zum Schaden anderer einsetzen musste?
    Bald überkam sie der Schlaf, aber ein paar Stunden später fuhr sie erschrocken auf – das Gesicht der Köchin dicht vor Augen. Das Herdfeuer war weitgehend herabgebrannt, doch Johanna konnte die weiten Augen und den offenen Mund der alten Frau erkennen. Sie roch leicht nach Schokolade, nach der die Morcheln schmeckten – ein schlechter Scherz der Natur. »Mir geht es nicht gut, Fräulein Blom«, sagte die Köchin leise, sie schmatzte ein paarmal mit den Lippen und schöpfte eine Kelle Wasser aus dem Fass. Die Katze, die grob vom Schoß gestoßen worden war, streckte sich und sprang auf Johannas Brust. Die alte Köchin trank, dann ließ sie den Schöpflöffel fallen und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Sie drehte sich um und lief schnell zum Unratkübel in der kleinen Kammer – das Geräusch ihres Körpers, der seine Inhalte von sich gab, war ohrenbetäubend in der Stille der Nacht. Johanna hörte einen Plumps, rudernde Arme und Beine und dann das Rasseln und Keuchen der kämpfenden Lungen. Es gab kein Gegengift. Johanna legte sich die warme Katze aufs Gesicht, schloss die Augen und atmete den sauberen Geruch des Fells ein, bis alles wieder ruhig

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