Das Stockholm Oktavo
»Sekretär?«
»Emil Larsson, Madame. Wir sind uns bei Ihrem Unterricht begegnet.«
Ihre Augen weiteten sich ganz leicht. »Geht es … Ihnen gut?
»Ich wurde gerettet, Madame, gerettet von …« Ich verstummte, bevor mir Johannas Name herausrutschte oder ich mit einer Anschuldigung herausplatzte, die ich niemals beweisen könnte. Die Menschen um uns herum schwiegen und lauschten. »Ihre Großzügigkeit hat mich gerettet. Ich wollte mich persönlich bei Ihnen bedanken, aber meine Genesungszeit war lang und meine Krankheit tödlich ansteckend.«
Sie drehte sich nun ganz zu mir um und kam zwei Schritte auf mich zu, das blonde Mädchen mit dem Obstkorb ließ sie stehen. »Dann haben die Arzneien gewirkt?«
»Die eine, die ich einnehmen konnte, ja. Die Flasche der anderen ging zu Bruch – leider, denn Ihr Mädchen hatte mir unvergleichliche Bettruhe in Aussicht gestellt.« In gespieltem Kummer schüttelte ich den Kopf. »Ich gehe davon aus, dass das Mädchen Ihnen Ihren Fächer zurückgebracht hat? Ich hatte gehofft, selbst das Vergnügen zu haben.«
Die Uzanne beugte sich vor. »Ich denke, wir sind uns mehr als nur ein Mal begegnet.«
»Ich werde oft mit anderen verwechselt«, sagte ich und drückte mich durch die Menge näher zu ihr vor.
»Das kann von Nutzen sein.« Die Uzanne hob den Fächer, als wollte sie ihn öffnen, hielt aber inne. »Sie waren mir schon einmal nützlich, Sekretär. Vielleicht könnten Sie mich ein weiteres Mal unterstützen, wenn das hier vorbei ist. Ich habe nämlich noch etwas verloren.«
»Wenn was vorbei ist?«, fragte ich und wollte sie festhalten. Eine Wache zerrte mich am Arm zurück und drückte, bis ich um meinen Knochen fürchtete. »Wenn was vorbei ist? Ihr Mord am König?«, rief ich. Die Uzanne drehte sich um, legte einen Arm um das Kind und geleitete es schützend in den Palast. Ich schrie weiter, bis die beiden im überfüllten Eingang verschwanden und ich mit einem brutalen Tritt vom Außenhof befördert wurde.
Ich wartete bis lange nach Einbruch der Nacht, aber die Uzanne sah ich nicht herauskommen. Als ich ein paar Krankenbesucher nach ihr fragte, berichteten sie, dass die Uzanne mindestens eine Viertelstunde bei Seiner Majestät gesessen, ihre Liebe zu Schweden beteuert und Gustavs Stirn mit ihrem Fächer gekühlt hätte. Sie habe versprochen, ihm Schlaf zu schenken, den er in seinen Qualen auch dringend brauchte. Die Zeugen sagten, die Uzanne hätte eine Art Zauber ausgeübt, denn Seine Majestät hätte in Jahren nicht so gut geschlafen.
Kapitel 70
Tagundnachtgleiche
Quellen: E. L., Madame S., Kapitän H.
An die darauffolgenden vier Tage erinnere ich mich nur verschwommen. Die Mischung aus Angst und hoffnungsfroher Spannung ließ mir stetig die Ohren rauschen und meine Glieder nervös zucken. Nur wenn ich Karten in der Hand hatte, fühlte ich mich wohl. Jeden Tag hielt ich vor dem Palast Ausschau nach der Uzanne, und jeden Abend ging ich in die Gråmunkegränd. Das Spiel war wieder in vollem Gange, und auch die Wahrheitssuchenden kamen wieder mit ihren Fragen zu Madame Sparv. Auf Befehl des Militärgouverneurs der Stadt, Herzog Karls, hatte die Polizei Anweisung, Madame Sparv zu schützen. Karl hatte die Sibylle nicht vergessen, die ihm zwei Kronen vorausgesagt hatte, und die eine war nun nahe.
»Wir haben Tagundnachtgleiche«, hörte ich Hinkens Stimme hinter mir. Es war Mitternacht vom 20 . auf den 21 . März. »Schade, dass ich die ersten Schneeglöckchen verpasse.«
»Warum das?«, fragte ich, abgelenkt von einem Spieler, der mir in die Karten schauen wollte, bevor ich sie aufdeckte.
»Wir werden auf See sein, Sekretär. Ich wollte mich von Ihnen verabschieden.«
»Trumpfen Sie!«, sagte mein Gegenüber.
Ich legte meine Karten offen auf den Tisch und drehte mich zu Hinken um. »Wann laufen Sie aus?«
»Mit der Flut. In fünf Stunden.« Er hatte einen Teller mit Flunder in Weißwein- und Muschelsoße in der Hand, hielt ihn sich unter die Nase und sog den Duft dankbar ein. »Das letzte Abendmahl. Kommen Sie?«
Das Blut pochte mir in den Ohren, und ich spürte Madame Sparvs sphinxgleichen Blick vom anderen Ende des Saals auf mir. Mein Gegner am Spieltisch schob die Münzen auf den Stapel mit seinem Gewinn.
»Wohin soll ich kommen?«, fragte ich.
»Um sich zu verabschieden, Sekretär. Sie haben Ihre Koje weiterverschenkt, erinnern Sie sich? Und die
Henry
ist bis unter die letzte Planke beladen. Unser Passagier wird spät kommen, gegen halb
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