Das Stockholm Oktavo
fünf.« Er wedelte mit der Gabel. »Und versuchen Sie bloß nicht, zu Tantchen zu gehen. Sie hat mich an den Eiern, wenn es Probleme gibt.«
Der erste Frühlingsmorgen nach dem Kalender war nicht gerade so, wie ein Dichter ihn besingen würde. Die durchdringende klamme Feuchtigkeit stieg in Nebelschwaden auf, und im Osten war die Dunkelheit so tief, dass man an der Existenz der Sonne zweifeln konnte. Doch im böigen Wind flackerten knisternd Fackeln, und die gedämpften Stimmen der Matrosen klangen nach Feierstimmung, sie waren froh, endlich von den Fesseln des Winters befreit zu sein. Vier Schiffe sollten auslaufen, deshalb war der Skeppsbronkajen voll mit Seemännern, die letzte Vorräte an Bord hievten. Ich fand Johanna am Bug der
Henry
, sie saß neben einer Kiste mit gackernden Hühnern und blickte hinaus aufs Meer. Sie umarmte mich nicht und stand auch nicht auf, sie lächelte nicht einmal, sondern zog ihren grauen Umhang enger um sich. »Warum sitzen Sie hier beim Vieh, Johanna?«, fragte ich. »Da drüben ist eine warme Hütte.«
»Die Hennen erinnern mich daran, was aus mir geworden ist und warum ich nun gehen muss.« Sie drehte sich zu mir um, ihr Gesicht war unergründlich. »Hat sie Sie schon aufgesucht?«
Ich erzählte ihr von den Blutorangen, dem hellblonden Kind, dem grau-silbernen Fächer. »Ich habe sie nur ein Mal gesehen, aber sie ist jeden Tag dort.«
»Dann wird sie am Ende bekommen, was sie will.«
»Nein, das wird sie nicht.« Ich nahm Johannas bleiche Hand; ich wollte sie bitten, zu bleiben, wollte ihr sagen, dass wir sicherlich nur ihre acht Personen finden müssten, dass wir die Uzanne stoppen könnten und alles gut werden würde. Aber ich wusste überhaupt nichts mehr sicher, außer dass die Uzanne Johanna Blom nicht bekommen würde. Mir saß ein so dicker Kloß im Hals, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Ich zog die Fächerschachtel aus meiner Rocktasche und drückte sie Johanna in die Hand. Sie öffnete sie vorsichtig, als könnte eine Viper herausschnellen, dann starrte sie den Fächer auf dem blauen Samtfutter an. Sie öffnete ihn, die weiße Seide glänzte im Schein der Fackeln, die gelben und blauen Schmetterlinge wurden vom Spiel aus Licht und Schatten zum Leben erweckt. Dann schloss sie ihn wieder, Falte um Falte, das Ergebnis stundenlangen Trainings, und legte ihn zurück in die Schachtel. »Nein, Emil. Der Schmetterling war für Ihre Verlobte gedacht.« Sie legte den Deckel wieder auf die Schachtel und gab sie mir zurück. »Ich würde Sie niemals in einem Leben gefangen halten, das Sie nicht wollten«, sagte sie. Zwei Männer von der Besatzung holten die Hühner und zogen eine Woge von Federn und schrillem, hysterischem Gegacker hinter sich her. Dann umarmte Johanna mich, ihr grauer Umhang rutschte und fiel ihr von der Schulter. Sie trug ein Kleid von der Farbe des Junihimmels.
Es gibt keine weiteren Berichte über diesen Tag.
Kapitel 71
Kurze Ruhe
Quellen: E. L., Palastwachen und -bedienstete
Die Krankenwache vor dem Palast dauerte noch weitere fünf Tage, die Uzanne sah ich jedoch nicht wieder. Vielleicht durfte sie einen privaten Eingang benutzen, denn Zeugen sagten, sie sei jeden Morgen dort und würde sich auf Herzog Karls Bitten hin um Seine Majestät kümmern. Ich rückte den Garden ständig auf den Leib und bat um eine Unterredung mit Generalmajor Gustav Mauritz Armfelt, Elis Schröderheim oder einem anderen Getreuen König Gustavs, um zu berichten, was ich wusste: dass die Uzanne dem König tödlichen Schaden zufügen wollte. Doch ich wurde zurückgewiesen und von allen des Irrsinns bezichtigt: Gustav sei zu Tränen gerührt vor Freude über die Rückkehr der Uzanne an seine Seite. Stets brachte sie ihm seltene Gaben, eine Ananas hat am Krankenlager fast einen Aufstand ausgelöst. Und immer hielt sie ihren grau-silbernen Fächer fest in ihrer elegant behandschuhten Hand. »Außerdem, Sekretär«, sagte ein Wachmann zu mir, »wurde der Mörder bereits gefasst, ein ehemaliger Page des Königs, Hauptmann Jacob Johan Anckarström.«
»Wie kann Anckarström ein Mörder sein, wenn Seine Majestät gar nicht tot ist?«, fragte ich.
Der Mann sah mir in die Augen. »Ich war in seinem Gemach. Es wird nicht mehr lange gehen.«
Der Wachmann erzählte mir, dass viele das Zimmer gar nicht mehr verließen, sie schliefen auf Matratzen auf dem Boden, aßen nicht, weinten still und flüsterten. Vor das Bett des Königs habe man einen Wandschirm gestellt. Davor stehe
Weitere Kostenlose Bücher