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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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nicht groß, aber angemessen. Er könne unmöglich kommen, hat er gesagt. Und der Hof auch nicht. Ihre Schwester jedoch kam den weiten Weg von Pommern. Und eine Cousine aus Finnland. Sie hätten nicht glücklicher aussehen können.«
    Wir saßen in einem kleinen Salon auf Gullenborg, dem einzigen Raum im Erdgeschoss, der nicht von der Renovierung betroffen war. Die neuen Eigentümer des Anwesens waren nicht da, und Luisa nutzte diesen Umstand weidlich aus. Als ich kam, ließ sie die neue Köchin einen aufwendigen Teetisch decken.
    »Und wohin wollen Sie nun gehen?«, fragte ich und wischte die Krümel weg, die sie in meine Richtung gespuckt hatte.
    »Gehen?« Sie tupfte sich geziert den Mund mit einer gestärkten Leinenserviette. »Nirgendwohin, Sekretär. Madames Schwester hat das Anwesen mit allem Drum und Dran verkauft. Die neue Herrin hat mich übernommen. Sie ist frisch verheiratet. Süß und rund wie ein Honigkuchen und ebenso gewöhnlich. Ihr Vater ist Weinhändler, aber sie hat sich in Åbo einen finnischen Adligen geangelt und wollte Gullenborg unbedingt haben. Offenbar war sie hier einige Zeit bei Madame zur Ausbildung.« Luisa seufzte und biss sich auf die Lippe. »Ich habe so getan, als würde ich mich an sie erinnern, aber hier sind so viele Mädchen durchgekommen … Komisch ist, dass die Dame Carlotta die Fächersammlung aufgelöst und die Fächer an einen Mann aus Sankt Petersburg verkauft hat.« Sie zwinkerte mir aufs Reißerischste zu. »Angeblich für Zarin Katharina die Große.«

Der Gefangene

Johanna Blom
    Der Brief lag vor mir auf dem Kiefernholztisch des
Sauschwanz
, er war mit einer weißen Seite nach oben zusammengefaltet und mit indigoblauem Wachs ohne Siegel verschlossen. Hinken wandte sich ab, so als würde er die Intimität einer körperlichen Vereinigung respektieren. Ich zwang mich zu langsamen Bewegungen, befühlte das Papier, führte es an die Lippen, roch an dem verbrannten Siegelwachs und spürte, wie der Büttenrand mich an der Oberlippe kitzelte. Ich küsste die Vorderseite, auf der in ihrer Handschrift mein Name stand, und schob meinen Zeigefinger unter die Klappe, um das Siegel zu brechen. Das weiche Papier klappte an den Falzen auf und enthüllte ihre runde, scharfe Handschrift.
    Johanna schrieb, es gehe ihr gut, sie schilderte Charleston als unsagbar schön, die Menschen dort als freundlich und herzlich. Aber der Brief war wie das Blatt eines Fächers, das das Gesicht des Menschen dahinter verbarg. Und in diesem Gesicht konnte ich lesen. »Sie ist unglücklich«, sagte ich und sah Hinken an. »Sie schreibt, sie könne den Handel nicht dulden.«
    Er bemerkte meinen verwirrten Blick. »Den Sklavenhandel, Sekretär. Sie sagt, sie will nach Norden ziehen.«
    Die Puppe in meiner Magengrube schlug leicht gegen die Wand ihres Kokons. Ich faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn in die Brusttasche. »Stockholm ist im Norden«, sagte ich.

Der Lehrmeister

Meister Fredrik Lind
    »Das Haus der Linds am Köpmantorget scheint von den Ereignissen unverändert zu sein«, sagte ich zu Meister Fredrik.
    Er sah von seinem Schreibpult auf, die Feder verharrte in der Luft. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich nicht anzusprechen, bis ich diese Zeile beendet habe?« Heute war er gekleidet wie ein Offizier. Er hatte seine Position als bester Kalligraph der Stadt behalten und war die rechte Hand aller namhaften Leute, bis auf Herzog Karls inneren Kreis. Als er fertig war, säuberte er die Federspitze und stieg von seinem Schemel.
    »Alles hat sich verändert«, sagte er nur. Das schloss auch sein blumiges Vokabular und den ständigen Gebrauch von Handschuhen ein – beides verschwand am Tag nach dem Attentat. Nun war ihm seine eigene Haut gut genug, wie er sagte, und die brauchte nach so vielen Jahren der Verhüllung Luft. »Aber jetzt habe ich eine Überraschung für Sie«, rief er aus. »Ich habe das Oktavo studiert, es beläuft sich auf mehr als acht.« Aus einem Fach seines Pults nahm er mehrere Papierrollen und trug sie an einen Tisch am Fenster, wo das flache Licht von Norden am besten war. »Die Arbeiten Nordéns und der Sparv haben mir eine neue Welt eröffnet – ich habe sie mit Tinte auf Papier gezeichnet.« Er rollte einen Papierbogen aus und strich ihn glatt.

    »Wenn wir die Muster betrachten, kann man die Acht als eine sich überschneidende Struktur ansehen. Und wir können sie erweitern, wie Madame Sparv es getan hat.«
    »Diese Struktur des Oktavos dehnt sich unendlich

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