Das Stockholm Oktavo
erreichen können! Und Ludwig XVI . ist jetzt auch verloren.«
»Ein schrecklicher Jahresbeginn!«
Madame Sparv seufzte. »Es heißt, in den Straßen von Paris sei es totenstill gewesen, als sie ihn auf dem Schinderkarren zur Guillotine gefahren haben. Als hätte das Volk begriffen, dass es den Irrsinn gewählt hatte und diese Wahl ihm eine ganz andere Herrschaft bescheren würde als diesen sanften, liebenden König.«
»Das haben wir hier in der Stadt auch erlebt, Madame Sparv.«
Fast unmittelbar nach König Gustavs Tod hatte Stockholm viel von seinem Charme und seinem Glanz verloren und versank nun in einer Art dumpfer Provinzialität. Die neue Regierung unter Regent Karl neigte sehr viel mehr zum Krieg als zur Kunst, und der Herzog hatte in dem undurchsichtigen Grafen Reuterholm einen noch düstereren Berater gefunden. Gustavs Sohn, Gustav Adolf, war ein merkwürdiger und labiler Junge, dem der Charme und die Intelligenz seines Vaters völlig abgingen. »Wir könnten hier einen französischen König gebrauchen«, sagte ich und meinte es nur halb im Scherz, dann nahm ich endlich mein Blatt zur Hand.
Madame Sparv ließ ihre Karten verdeckt auf dem Tisch liegen. »Ich muss Ihnen etwas sagen. Ich hatte eine Vision.«
»Nein, bitte nicht, Madame Sparv!«
»Die Vision betraf mich, auch wenn sie in Wahrheit viele betreffen kann.« Sie paffte an ihrer Pfeife, und der Duft von Tabak mit getrockneten Apfelstücken füllte den Raum. »In der Nacht vor dem Ende des Reichstags in Gävle umarmte Gustav mich als seine liebste Freundin und schickte Axel von Fersen die Nachricht, diesen mutigen Rettungsversuch in Paris zu unternehmen.« Sie inhalierte und stieß einen kreisrunden Rauchring aus. »Da hatte ich die Vision: einen Schild von der Farbe einer Sommernacht, wenn die Himmelskuppel fast lila ist und zum Horizont hin zu einem helleren Blau verblasst. Auf dem Schild waren die drei Kronen und die drei Lilien abgebildet, die Herrschaftssymbole Schwedens und Frankreichs. Sie verschwammen ineinander und lösten sich auf, zurück blieb reiner, weißer Friede wie am Morgen nach einem Schneesturm. Zum ersten Mal in Monaten schlief ich wieder die ganze Nacht durch. Seither haben die Visionen mich nicht mehr besucht.«
»Was bedeutet das?«
»Es bedeutet, dass das Stockholm Oktavo sehr viel weiter reicht, als wir dachten. Es wird ein französischer König kommen!«, sagte sie leise.
Der Wahrheitssuchende
Emil Larsson
Ein paar Runden später hatte ich eine große Summe verloren und stellte mich ans Fenster, um Luft zu schnappen. In der Gråmunkegränd war es still, leichter Regen säuselte in der Dunkelheit. »Was ist aus Kassiopeia geworden, Madame Sparv?«
»Wollen Sie sie haben?«
Ich wusste nicht, ob sie sich einen Spaß machte, aber ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe genug von Fächern, sie sind viel zu gefährlich für mich.«
Sie stand auf, ging zur Anrichte und schob sie vorsichtig von der Wand weg. Sie zog eine schmale Schublade auf, die unter der Platte verborgen war, und nahm eine blaue Fächerschachtel heraus. Darin lag Kassiopeia. Behutsam öffnete sie den Fächer, führte die gebrochenen Stäbe und betrachtete das zerrissene Bild von dem leeren Palast. Sie kam zum Fenster und reichte mir den Fächer. »Verkaufen können Sie ihn jetzt wohl nicht mehr«, sagte sie. Ich drehte ihn auf die sternenbesetzte Rückseite und fuhr die Linien des Himmels-W nach, das verkehrt herum unter dem Nordstern stand. »Ob er auch die Macht verloren hat, die er besaß, kann ich nicht mit Sicherheit sagen«, fügte sie hinzu und streckte die Hand aus, um den Fächer wieder entgegenzunehmen.
»Die Zeit der Magie geht zu Ende, Madame Sparv.«
Sie nahm Kassiopeia und schloss langsam und vorsichtig die Falten, sie strich die Risse und Scharten glatt, bis sie wieder ordentlich hinter ihre Elfenbeinstäbe gebettet waren. »Das hoffe ich ganz ehrlich nicht. Wir brauchen beides, Tag und Nacht, Emil. Was wären wir ohne die Erneuerung, die der Schlaf schenkt? Ohne die Inspiration durch unsere Träume? Das jähe Erwachen? Ich wollte nicht in einer Welt leben, in der Magier durch Bürokraten ersetzt werden, deren einzige Zauberei darin besteht, Zeit und Geld zu fressen. Ich ziehe die alten Zeiten vor, zumindest haben sie einen noch in Erstaunen versetzt.«
»Haben Sie wirklich geglaubt, Sie könnten die Uzanne aufhalten, indem Sie ein paar Pailletten versetzen lassen?«, fragte ich.
»Aber sie wurde doch aufgehalten! Zumindest
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