Das Stockholm Oktavo
sie eine Handvoll Stechapfelsamen in sein Rumfässchen und machte sich auf den Weg zu Meister Lind. Die Samen würden nicht tödlich sein, aber sie konnten die Sicht beeinträchtigen und zu furchterregenden Wahnzuständen führen, sodass der
Sauschwanz
seine ohnehin schon wenigen Gäste noch ganz verlor. Dass Johanna nun bei Meister Fredrik Zuflucht fand, war ganz entscheidend. »Ich bin gekommen, weil ich Arbeit suche.«
Er musterte Johanna eine Weile mit dem Zeigefinger an den Lippen »Ein Mädchen, das nicht zu verführerisch oder zu anfällig für Verführungen ist … Können Sie Französisch?«
»
Oui, Monsieur.
Und auch ein wenig Latein. Ich kenne mich in Botanik und Pharmazeutik aus. Ich würde gern als Apothekerin arbeiten, wie Sie es mir vorgeschlagen haben, Meister.«
Er machte große Augen, ein verstohlenes Lächeln zerrte an seinen Mundwinkeln. »Ihre Ankunft in der Stadt hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erfolgen können, Fräulein Grå.« Er ging in die Diele und rief: »Frau, mein Täubchen, sperre den Schrank für besondere Anlässe auf, wir haben hier eine junge Dame, die angemessene Kleidung braucht.«
Frau Lind gurrte und kümmerte sich um alles. Bis zum Nachmittag hatte Johanna Kuchen und Tee bekommen, sie war gewaschen, angekleidet und frisiert worden wie eine junge Dame aus gutem, wenn nicht gar aus reichem Hause. Meister Fredrik, der die Damen für die Verwandlung allein gelassen hatte, kam in einem neuen Anzug zurück, einem gestreiften Jackett aus dunkelblauer und grüner Seide, schwarzen Kniehosen und einer schwarzen Weste, bestickt mit elfenbeinweißen Päonien, die sich um silberne Knöpfe rankten. Er schloss ein Auge und starrte Johanna an. »Fräulein Grå … So können Sie nicht heißen. Von nun an und für alle Zeiten sind Sie Fräulein … Blom, Tochter aus verarmtem Adel aus dem Norden und wahrlich eine seltene Hochlandblume.« Er nahm Hut und Umhang vom Haken und rief nach seinem knöchernen Diener, der Johannas Gepäck tragen sollte. »Pflegen Sie Ihren nordischen Akzent, Fräulein Blom. Und seien Sie ehrfürchtig vor der Pracht, der wir gleich gegenüberstehen werden – so wie jedes Mädchen vom Lande, selbst eines mit Ihrer Ahnentafel.«
»Gehen wir aus?«, fragte Johanna, die mit einem Mal ganz beklommen war. Sie hatte gedacht, Meister Fredrik und seine liebenswürdige Gattin würden sie aufnehmen.
»Keine Sorge, Fräulein Blom, Ihre Unterbringung bei Madame wird mehr nach Ihrem Geschmack sein – und sie verspricht tausendfachen Erfolg.« Er hetzte Johanna zu einer Chaise im Hinterhof, in die er hineinsprang. Mit seiner beleibten Statur brachte er das Chassis zum Wackeln und reichte Johanna die Hand, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Zurückhaltend nahm sie seine Hand und drückte sich in die von ihm entfernteste Ecke der Sitzbank. Das Pferd machte einen Satz und trabte unter dem Tor hindurch auf den Köpmantorget. Meister Fredrik nahm die Zügel und sang:
»Wir lungern sacht in guter Ruh’
Durch Bacchi Lärm von ungefähr;
Da ruft der Tod, he, Nachbar, du,
Dein Stundenglas ist leer,
Du, Alter, schmeiß die Krücken weg,
Auch du, Jüngling, folge mir,
Führ hin die schönste Nymphe keck
Ins fahle Nachtquartier.«
»Kennt man auf dem Land Bellmans Kompositionen?«, fragte er. Johanna schüttelte den Kopf, er zog die Zügel und hielt an. »Nein? Oh, aber wenn Sie die Stadt kennenlernen wollen, junge Dame, dann ist er der wahre Meister!« Er ließ die Peitsche knallen, und das Pferd trabte zur nächsten Strophe weiter. Sie fuhren durch die belebte Innenstadt, vorbei an Kirchtürmen und an Gassen, in denen es vor Menschen und Vieh nur so wimmelte, über die Brücke nach Kungsholmen und eine vielbefahrene Straße zum Mälarsee hinunter. Auf einer Seite flogen grüne Wälder und Felder vorbei, von frischem Grasgrün bis zu dunkelstem Kieferngrün. Die glänzende blaue Wasserfläche des Sees auf der anderen Seite war mit Schaumkronen und Vögeln gesprenkelt. Es roch nach Tannen und Meer, und Johanna empfand höchstes Vergnügen an diesem Duft. Der Wind verursachte ihr Gänsehaut an den Armen.
»Nun, Fräulein Blom, was genau hat Sie aus Gävle vertrieben?«, brach Meister Fredrik das Schweigen.
Johanna sah ihre Hände an, dann hob sie den Kopf und blickte ihm in die Augen. »Ich bin gekommen, um eine Zukunft zu haben, Meister, und es wäre mir lieb, wenn meine Vergangenheit dort bliebe, wo ich sie zurückgelassen habe.«
Meister Fredrik zog die Zügel und hielt
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