Das Stockholm Oktavo
die Kutsche an. »Wir sind in dieser Minute auf dem Weg in Ihre Zukunft – und auch in meine –, sofern Sie der Gewinn sind, für den ich Sie halte: ein bescheidenes, aber gebildetes Mädchen, das des Lesens und Schreibens mächtig ist, das Arznei herstellen kann … Wenn Sie die Cister spielen und singen könnten, würde ich Sie für mich selbst und Frau Lind behalten.« Johanna wurde rot bei diesem Kompliment, an Lob jedweder Art war sie nicht gewöhnt. »Denken Sie nur immer daran, dass Verschwiegenheit ein bewundernswerter Wesenszug ist, Fräulein Blom. Überlassen Sie es mir, Ihre Geschichte zu erzählen, ich werde Ihnen den Weg in Madames Herz ebnen.« Meister Fredrik schlug mit den Zügeln, und das Gefährt machte einen Satz nach vorn. Zwei kerzengerade Reihen Schwarzweiden mit graugrünen Blättern bildeten an der letzten Erhebung eine Allee mit einem Reitweg auf der linken Seite, gesäumt von Rapsfeldern. Am Ende des Wegs tauchte Gullenborg auf. »Sehet das prächtige Haus, das locket!«, sagte Fredrik. Johanna setzte sich auf und beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Einladendes Goldgelb, stahlgrau die Lisenen. Und der Kies: rosa. Rosafarbener Kies! Das ist etwas ganz anderes als die Schlammfarben oben in der Tundra, nicht wahr, Fräulein Blom?« Meister Fredrik bog vor dem Haupthaus in einen schmalen Weg ein und fuhr zu einem weißverputzten Stall. »Wir werden gleich bei Madame vorsprechen, aber zuerst kümmern wir uns um meine Geschäfte«, sagte er und gab dem Pferd einen zusätzlichen Schlag, damit es stehen blieb.
»Soweit ich weiß, Meister, sind Sie der führende Kalligraph der Stadt«, sagte Johanna.
»In der Tat. Aber Madame hat mich um Hilfe in einer anderen Angelegenheit gebeten. Sie hat einen neuen Fächer in Auftrag gegeben, und allem Anschein nach findet Monsieur Nordén, der Fächerhersteller aus Paris, die Materialien, die in der Stadt verfügbar sind, minderwertig. Ich will nun beweisen, dass dies nicht der Fall ist.« Meister Fredrik stieg von der Kutsche und reichte Johanna die Hand. »Madame besteht auf Hühnerhaut – eine vollendete Grundlage für eine Bemalung: leicht, reißfest, durchscheinend. Eine leicht genoppte Struktur, aber so weich, dass Stift und Pinsel darübergleiten, als würde Gott selbst sie führen. Und außer Gott können sich das auch nur wenige leisten«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kinn auf das Haus. »Hatten Sie je einen Fächer?«
»Nein, Meister. Dafür war kein Geld da«, antwortete Johanna.
»Das könnte sich bald ändern.« Meister Fredrik legte seinen Umhang über die Schultern und zog eine silberne Schnupftabaksdose aus der Tasche; er nahm eine großzügige Prise und ging voran. Johanna rührte sich nicht. »Kommen Sie, Fräulein Blom, das ist zwar kein Fächerladen, aber hier gibt es die Grundzutaten dafür. Sind Sie nicht neugierig?«
Johanna stieg aus und fragte, ob sie das Huhn braten würden, nachdem sie es gehäutet hätten – sie hatte schon sehr lange nicht mehr richtig gegessen. Meister Fredrik lachte fröhlich und öffnete mit einer übertriebenen Verneigung die Stalltür. Ein Stallbursche und ein junger Knecht grüßten den Meister und warfen Johanna verstohlene Blicke zu.
»Ich habe heute ein kluges Mädchen für Madame«, sagte Lind.
»Oh, Sie werden Madame gefallen, Fräulein. Flach wie ein Brett, damit es keinen Ärger gibt«, sagte Vater Berg. »Der Kleine Per zieht bald ins große Haus, Sie könnten es mit ihm versuchen. Dann wirst du gestriegelt, Junge, anstatt selbst zu striegeln.« Kichernd schlug er Per auf den Kopf. Johanna wandte sich ab und tat so, als würde sie aus dem Stallfenster blicken.
Voller Vorfreude rieb sich Meister Fredrik die Hände. »Also gut, Vater Berg, Kleiner Per! Wo ist unsere süße Klöver?«
Der ältere Mann machte ein Gatter auf. »Kommen Sie, Fräulein Blom.« Johanna beugte sich über die halbhohe Bretterwand und sah, wie Vater Berg sich neben eine trächtige braune Kuh kniete. Kauend starrte sie ausdruckslos auf den Heuballen. Der Kleine Per legte der Kuh einen Maulkorb an und machte sie an einem Ring im Boden fest. Die Läufe band er mit Lederriemen zusammen und tätschelte die Kuh zweimal. Sie muhte, dann sah man an ihrem geschwollenen Bauch Silber aufblitzen, und Blut rann auf das gelbe Stroh unter ihr. Johanna wurden die Knie weich. Sie griff so schnell nach den Brettern, dass sich Splitter in ihre Handflächen bohrten. Meister Fredrik nahm noch eine Prise aus der
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