Das Stockholm Oktavo
Stumm reichte Johanna diesem Geist Meister Fredriks Karte. »Sehr wohl. Aber darf ich fragen, wer nach ihm verlangt?«
Johanna machte einen geübten Knicks. »Fräulein Grå, die Apothekerin.«
»Kommen Sie herein und warten Sie bitte hier.« Er drehte sich um und verschwand durch eine hellblaue Tür, die von selbst wieder zuzufallen schien, und ließ Johanna in einer Diele zwischen zwei offenen Räumen stehen, die so sauber und ordentlich waren wie eine Apotheke: große, verschlossene Schränke und Regale voller Krüge, Schachteln und Steinguttöpfe standen an der gegenüberliegenden Wand. Die dunkelblauen Flaschen waren sorgfältig etikettiert: Cölinblau, Zinnoberrot, Ockergelb, Viridiangrün. Dieser Schatz aus Farben machte Johanna kurz schwindeln, sie lehnte sich an die Wand, bis sie Schritte in der Diele hörte. Sie straffte sich und wartete darauf, den Mann begrüßen zu dürfen, der versprochen hatte, ihr zu helfen.
»Fräulein Grå! Welche Gottheit hat Sie geschickt?«, rief Meister Fredrik aus, als er durch die blaue Tür stürmte. »Ich bin geschlagen mit einem dreistöckigen Kopfweh, mein Magen schäumt wie das Meer, und meine Hände zittern so sehr, dass ich kein Glas an die Lippen führen kann. Gestern Abend hat ein wüstes Zechgelage stattgefunden, und Ihre Tinktur ist längst aufgebraucht.«
Johanna stand kurz der Mund offen, dann öffnete sie schnell die Apotheker-Reisetasche ihres Vaters, die sie mitgenommen hatte, und holte ein Fläschchen ihres Anti-Katzenjammer-Tonikums heraus. Meister Fredrik schnitt mit einem Messer das Wachssiegel auf, zog den Korken heraus und trank direkt aus der Flasche.
»Ein Wunder«, sagte er mit einem Lächeln, das so schnell wieder schwand wie das Licht an einem Septembernachmittag. »Aber solche Wunder bringen oft Leid mit sich.« Er sah Johanna an, ein Auge kniff er zusammen. »Sie sehen nicht so aus, als wären Sie schwanger. Oder etwa doch?«
Johanna schüttelte heftig den Kopf und wurde zornesrot. »Ich bin nicht schwanger. Ich bin aus geschäftlichen Gründen hier, nicht weil ich Almosen brauche, Meister Lind.«
»Liebes Fräulein, wenn ein junges Mädchen, das ich kaum zu kennen behaupten kann, allein mit einem Bündel und meiner Visitenkarte in der Hand an meiner Tür klopft, macht man sich so seine Gedanken. Vielleicht erläutern Sie mir kurz Ihr geschäftliches Anliegen, denn die Pflicht ruft!«
Johanna sagte ihm nicht, dass sie vor ihrer im September anstehenden Hochzeit davongelaufen war, sondern nur, dass sie hoffte, sich in der Stadt beruflich zu verbessern, dazu angeregt von Meister Fredriks Besuch in der Apotheke ihres Vaters im vergangenen Frühjahr.
Es war ein kalter Samstag Anfang April, kurz nach Mittag, alle Geschäfte schlossen bereits. Frau Grå war in der Kirche, Herr Grå musste eine dringende Bestellung ausliefern, Digitalistropfen, und machte sich schnell auf den Weg. Für Johanna war es die gesegnete Stunde ihres wöchentlichen Bades. Der Kessel pfiff auf dem Herd, das heiße Wasser füllte die breite Kupferwanne, die sie im Offizin aufgestellt hatte. Dankbar glitt sie ins warme Wasser, Arme und Beine brannten noch von den Brennnesseln, die sie am Morgen gesammelt hatte. Sie schloss die Augen und fiel in der dampfenden Behaglichkeit in einen leichten Schlaf. Sie träumte, in der Ferne eine Stimme zu hören, einen warmen Bariton, der ein fröhliches Sommerlied sang.
Der Herr betrat den halbdunklen Verkaufsraum, und das derbe Lied, das er geträllert hatte, verstummte. Die Apotheke war durchdrungen vom Geruch exotischer Gewürze, der beruhigend wirkte. Die vielen Kommoden mit Schubladen und die Porzellanbehälter auf den Nussholzregalen hinter dem Tresen, ein jeder mit dem lateinischen Namen seines Inhalts beschriftet, lenkten ihn für eine Weile ab. Doch nach ein paar Atemzügen in dieser wohltuenden Luft räusperte er sich ein paarmal, und als niemand kam, rief er: »Hallo! Hier ist ein Bacchus-Jünger in ernster Not!« Johanna wurde aus ihren schwebenden Träumereien gerissen und versuchte, schnell aufzustehen, doch das Wasser platschte laut auf den Boden. »Was ist denn das? Etwa der Jungbrunnen, der heimlich in Flaschen abgefüllt wird?«, rief der Herr. Bevor Johanna noch etwas entgegnen konnte, ging er hinter den Tresen, öffnete die Tür zum Offizin und sah sie in der Wanne stehen, ihre bläulich weißen Hinterbacken waren im heißen Bad feuerrot geworden.
»Meine Güte! Ein Mandrill, der aus dem Bade steigt! Heil dir,
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