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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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Mandrillgöttin, denn an deiner Figur kann ich dich als Weib erkennen.« Johanna zog das klatschnasse Badetuch um sich, sie wusste nicht, ob sie weglaufen, schreien oder sich wieder hinsetzen sollte. Nur das Tropfen des Wassers war zu hören, bis der Herr sich wieder räusperte und sagte: »Deine scharlachroten Backen gegen das Weiß des Tuchs, ein Tintenklecks der Leidenschaft, der in der Hast des Liebenden auf feines Leinenpapier tropfte. Du inspirierst mich zu ein paar Bellman-Versen, Göttin:
    Aug’ beglückt, frei die Brust,
    Lenzentzückt, mir zur Lust. Tuut-tuut.
    Schönes Kind – tuut-tuut
    Lau der Wind – tuut-tuut …«
    Er verbeugte sich und drehte sich um. »Aber ich bin nicht gekommen, um eine tropfnasse Nymphe mit Lyrik zu besingen. Ich suche Heilung und warte draußen am Tresen auf Sie.«
    Mit diesen Worten ging er hinaus. Johanna trocknete sich schnell ab und fragte sich, was denn ein Mandrill sei und ob das bedeutete, dass der Herr sie attraktiv fand. Sie zog sich an und eilte in den Ladenraum.
    »Meister Fredrik Lind aus Stockholm«, sagte er. Er war ein stattlicher Mann in mittleren Jahren, gut gekleidet, und er hatte ein fleckiges Gesicht, das verriet, dass er oft ein Wirtshaus besuchte. »Bitte verzeihen Sie die Natur unserer ersten Begegnung, aber die Kirchenglocke schlug Mittag, und die Verzweiflung überkam mich. Man sagte mir, dass ich hier in der Kronenapotheke das berühmte Anti-Katzenjammer-Tonikum bekäme.«
    Johanna machte einen Knicks und holte eine durchsichtige Glasflasche, die auf dem Fenstersims rotgolden glühte. Sie schnitt das Wachssiegel ab, zog den Korken heraus und goss vorsichtig ein Maß in eine Porzellanschale. Er trank es, schüttelte sich und lächelte. »Erstaunlich! Ich fühle mich schon besser.« Er blickte zu den aufgereihten Flaschen hinüber. »Ich nehme diese Flasche und noch ein weiteres halbes Dutzend dazu. Gut vorbereitet zu sein ist alles im Leben!«
    Johanna spürte, wie hitzige Freude in ihr aufstieg und sich auf ihren Wangen ausbreitete, und holte die Flaschen. Als sie sie in eine Holzkiste stellte und alles mit Stroh auskleidete, starrte Meister Fredrik ihre Fingerspitzen an.
    »Meine Güte, Mädchen, du bist ja auch hier karminrot!«
    Johanna rang die Hände und murmelte, das komme von den getrockneten Staubblättern der Taglilie, die sie für ihre Farbpigmente gemahlen hatte.
    »Ich bin der führende Kalligraph der Stadt und berühmt für die Farben meiner Tinte. Wenn das Karmesinrot, das Sie herstellen, so gut ist wie Ihr rotes Tonikum, dann will ich welches kaufen.«
    Johannas Hände zitterten, als sie eine Phiole nahm, die für Arzneipulver bestimmt war. Sie füllte sie mit dem Pigment, verschloss sie mit einem Korken und stellte sie auf den Tresen. Meister Fredrik stellte die offene Flasche mit dem Tonikum ab und nahm Johannas Hand. Er bog ihre gekrümmten Finger auf und küsste ehrerbietig ihre Fingerspitzen. »Dass es in Gävle einen solchen Schatz gibt, würde in Stockholm keine Menschenseele vermuten. Sie müssen kommen! Eine Frau in der Rolle des Hippokrates wäre revolutionär, die Leute wären hingerissen von Ihren Kenntnissen.« Er legte eine eierschalenfarbene Visitenkarte auf den Tresen und drückte ihr eine Banknote in die Hand. »Sollten Sie beschließen, nach Stockholm zu kommen und sich verbessern zu wollen, stehen Frau Lind und ich zu Ihren Diensten.« Er verbeugte sich und verließ den Laden. Die großzügige Banknote war sicherlich ein Fehlgriff gewesen, aber Johanna rief ihm nicht hinterher. Sie starrte auf das kleine Vermögen in ihrer Hand und wusste, dass sie ein Zeichen bekommen hatte.
     
    »Sind Sie gerade erst angekommen, Fräulein Grå?« Meister Fredriks Stimme riss Johanna aus ihren Gedanken.
    »Ja.« Das stimmte, denn sie hatte Linds Haus ja gerade erst betreten. Dass sie seit Juni in der Stadt war und im
Krug zum Sauschwanz
gearbeitet hatte, sagte sie nicht. Sie hatte die Zeit genutzt, um die Aussprache zu lernen und das Verhalten der Städter zu beobachten, und einen Teil ihres Verdienstes hatte sie an einem Marktstand für ein kornblumenblaues Kleid mit cremeweißen Streifen und eine schicke Spitzenhaube ausgegeben. Sie wollte nicht wie eine Bäuerin aussehen, wenn sie Meister Fredrik aufsuchte. Die Arbeit im
Sauschwanz
war zunächst einfach gewesen, doch dann hatte der Wirt mehr von ihr gewollt, als nur Essen zu servieren. Als sie sich bewusst wurde, dass sie ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht hatte, gab

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