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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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selbst habe sie aufgenäht. Sie können es nicht sehen, aber fühlen.«
    »Das ist wie Magie«, sagte ich.
    »Wie Liebe.«
    »Aber warum sollte jemand Wert auf diese unsichtbare Arbeit legen?«, fragte ich, in der Hoffnung, Aufschluss über Madame Sparvs Absichten zu bekommen.
    »Vielleicht soll es ein Scherz sein, oder aber es ist ein tiefgründiges Geheimnis.« Sie ahmte eine strenge Männerstimme nach: »Wissen Sie, Sekretär, das kleinste Detail wirkt sich auf die Geometrie und somit auf den Charakter und die Eigenschaften eines Fächers aus. Die winzigste Veränderung kann die ihm innewohnende Macht verschieben, und die Hand, die ihn hält, gewinnt oder verliert entsprechend an Macht.« Mit einem schuldbewussten Lächeln zuckte sie die Achseln. »Mein Mann ist ein leidenschaftlicher Künstler, er studiert alle Arten von Wissenschaft. Er behauptet, dass ein gutgearbeiteter Fächer sehr viel mehr sein kann als ein schönes Accessoire und dass seine Geometrie sich mit der Hand verbünden kann, um etwas … Vollendetes zu erschaffen. Etwas mit großer Macht.«
    Kein Wunder, dass Madame Sparv so große Stücke auf Monsieur Nordén hielt. Sie waren offenbar Seelenverwandte. »Dann ist es also tatsächlich Magie. Glauben Sie daran?«
    »Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht ganz sicher. Was denken Sie? Waren Sie noch nie von einem Fächer in der Hand einer Dame bezirzt?«
    »Ich würde ihn … sie«, berichtigte ich mich, »gern ansehen.« Margot schloss das Schaufenster auf und brachte mir den Fächer. Meine Finger kamen mir vor wie Würste, als ich das zierliche Ding in die Hand nahm, um es mir genauer anzusehen. Das Bild auf dem Blatt wirkte plötzlich düster – eine Trauerkutsche und ein leeres Herrenhaus, die so gar nicht zu der angenehmen Atmosphäre im Laden passen wollten. Ich drehte den Fächer und sah mir die paillettenbesetzte Rückseite an.
    »Dieses willkürliche Muster verwundert mich in Anbetracht der exakten Darstellung auf dem Blatt«, sagte ich.
    »Verzeihen Sie, mein Herr, aber an einem wahrlich wunderbaren Fächer ist nichts willkürlich. Der Künstler überlässt nichts dem Zufall«, sagte sie mit einem stolzen Unterton in der Stimme. »Das ist eine Himmelskarte – und sie verrät die Herkunft seines Namens. Unser Kunde hatte sich darauf versteift.«
    Ich sah den Fächer wieder an und entdeckte tatsächlich eine Paillette, die größer war als die anderen: der Nordstern, ein paar Fingerbreit unterhalb der Spitze des Fächers. Rechts darüber stand der Kleine Bär, links darunter die Sitzende Königin. »Kassiopeia. Das Himmels-W, auch wenn es hier ein Himmels-M ist.«
    Margot schürzte die Lippen und überlegte. »Kassiopeia sitzt für alle Zeiten auf ihrem Himmelsthron. Aber Sie sehen, dass sie auf dem Fächer, der ihren Namen trägt, nun umgekehrt herabhängt. Ein äußerst unwürdiges Schicksal.«
    »Wem gehört Kassiopeia? Vielleicht jemandem, dessen Name mit M beginnt und der sein Initial in den Himmel geschrieben sehen will wie das einer Königin …«
    »Das darf ich Ihnen nicht verraten. Mein Gatte legt Wert darauf, seinen Kunden strengste Vertraulichkeit zuzusichern. Sie verstehen sicherlich, warum.« Sie suchte in meinem Gesicht nach einem Zeichen von Verständnis. »Eifersüchtige Liebhaber, gesellschaftliche Nebenbuhlerinnen, Klatschtanten, gehörnte Ehemänner …« Es war das Gleiche wie bei Madame Sparv. Margot wollte den Fächer wieder an sich nehmen, aber ich war noch nicht bereit, ihn wieder herzugeben. Ich sah mir die Sterne noch einmal genau an und wurde mit Blumenduft belohnt.
    »Wie kommt es, dass er nach Jasmin riecht?«, fragte ich.
    »Alle Fächer tragen mindestens ein Geheimnis.«
    »Und sicherlich wäre Ihr Gatte dagegen, dass Sie es mir verraten«, sagte ich und gab ihr den Fächer zurück. »Eine beachtliche Arbeit, Madame Nordén. In diesem Himmel sieht man nicht einen einzigen Nadelstich.«
    An ihrer Miene sah ich, dass sie von meinem Lob geschmeichelt war und wahrscheinlich nicht so oft welches bekam. Sie ließ den Fächer mit einem geübten Griff zuschnappen und blickte mich durchdringlich an. »Ich sehe, dass dieser Fächer Sie anzieht, und eine innere Verbindung ist wichtig, wenn man einen Kauf in Betracht zieht. Wenden wir uns nun aber wieder Ihnen und Ihrer Freundin zu.« Sie legte Kassiopeia in die Kommode und kam an den Tisch zurück, wo Fächer in allen Schattierungen von Rostrot, Umbra und Ockergelb lagen. Sie schob einen Stuhl heran, setzte sich mir

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