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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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beiliegenden Brief bei. Es ist zwingend, dass diese Angelegenheit und der Aufbewahrungsort des Fächers absolut geheim bleiben. Ihre Kunstfertigkeit, Ihre Diskretion und Ihr Wissen sollen nicht unbelohnt bleiben. Zum Zeichen meiner Dankbarkeit habe ich die doppelte Summe des vereinbarten Honorars beigelegt.
    Viele Grüße,
    S.
    Margot faltete den Brief zu einem handgroßen Quadrat und schob ihn wieder in ihre Tasche, wo er sich anfühlte wie glühende Kohle. Sie liebte ihren Mann, sie konnte ihm nicht böse sein wegen des rasenden Wahnsinns, der sie nach Stockholm getrieben hatte. Sein Leben waren Fächer – sie hatten ihn in seinen Jugendjahren nach Frankreich geführt, wo er bei dem großen Meister Tellier gelernt hatte. Christian hatte ein Gefühl für Fächer, bis hin zum genauen Umfang des gemmenbesetzten Dorns, der die Stäbe zusammenhielt. Er würde ein Stück Pergament wegen einer Unebenmäßigkeit wegwerfen, die kein anderer entdecken würde. Er konnte eine Miniatur malen, um die ihn selbst die königlichen Hoflieferanten beneideten. Doch fürs Geschäft fehlte ihm der nötige Charme. Wenn er in weiblicher Gesellschaft war, konnte man meinen, dass er lange vermisste Freundinnen wiedersah, und zwar die Fächer, nicht die Damen. Er machte die Bekanntschaft der Besitzerin, und seine Faszination strömte hervor – bezog sich aber leider auf den Fächer. Er konnte mitten im Satz innehalten und ein Rezept für einen Klebstoff notieren, an dem er gerade arbeitete. Mitten in einer Partie Karten stand er auf, entschuldigte sich und sagte, er müsse zum Kai und eine einlaufende Ladung Elfenbeinstäbe aus China in Empfang nehmen. Und beim Tanz entdeckte er die ungewöhnlichsten Fächer und drängte darauf, ihnen vorgestellt zu werden, ungeachtet des Alters oder des Familienstands der Dame. Bei einer solchen Gelegenheit hatte er Margot kennengelernt.
     
    Christian war im Gespräch mit einer alten Witwe, die zufällig einen seltenen Cabriolet-Fächer hatte – ziemlich altmodisch, aber von ausgezeichneter Qualität –, als eine junge Dame ihn mit ihrem Fächer anstupste. Sie war klein und dunkelhaarig und hatte eine spitze Nase. Aufgrund einer Wette mit ihrer Herrin bat sie ihn, mit ihr zu tanzen. Den ganzen Abend lang öffnete Margot ihren Fächer nicht, obwohl sie ihn als Teil der Wette ausgeborgt hatte und wusste, dass er von außergewöhnlichem Wert war. Christian fragte nicht nach – ausnahmsweise war seine Aufmerksamkeit einmal von Blättern, Stäben, Stielen und Besatz abgelenkt.
    Ihre überstürzte Verbindung erwies sich als glücklich. Mit Margots Hilfe lernte Christian, in Telliers Geschäft einigermaßen konzentriert mit Kunden zu sprechen, und er fand Freunde, mit denen er Abende beim Kartenspiel verbrachte und verlor und mit denen er über die wütende Welt diskutierte, die 1789 unter der vornehm geschmückten Oberfläche von Paris bebte. Bis dann eines Tages im Sommer eine grölende Menschenmenge bei Tellier auftauchte und nach bedruckten Fächern verlangte – Kopien! Gedruckt auf Papier! –, mit denen sie das Volk erziehen wollte. Monsieur Tellier war höflich, wenn auch zornig, er sagte, von Drucken oder Papierfächern verstehe er nichts, er kenne nur die Kunst. Nachdem der Mob weg war, spuckte er auf den Boden, doch seine Stirn lag in Falten, und er rang trostsuchend mit den Händen. Als diese Vorfälle sich mit zunehmender Regelmäßigkeit wiederholten, sagte Tellier zu Christian, dass er für längere Zeit nach Belgien reisen wolle. Er legte Christian nahe, Paris ebenfalls zu verlassen. Irgendwann würde das Leben wieder in seine normalen Bahnen zurückfinden, bis dahin wäre das Atelier geschlossen.
    Als Versailles geplündert und die Bastille im Juli 1789 gestürmt wurde, kündigte Margots Arbeitgeberin, eine reiche Adlige aus Hessen, an, dass sie in ihre Heimat zurückkehren wolle und die Bediensteten bis Oktober entlassen werden müssten. Sie gab allen den Lohn für ein halbes Jahr; Margot, ihrem Lieblingsmädchen, schenkte sie Schmuck und einen barocken italienischen Découpé-Fächer, der einer Königin würdig war. Margot nähte die Wertsachen in das Futter eines Rocks von Christian ein, denn sie wusste, dass sie sie später noch brauchen würden. Zögerlich überlegten sie, ob sie an Christians Geburtsort, Stockholm, zurückkehren sollten. Im Herbst 1790 , ohne Arbeit und ohne Perspektive, folgten sie schließlich dem Nordstern.
    Die Stadt war nicht annähernd so barbarisch, wie Margot

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