Das Stockholm Oktavo
ich.
»Wollen Sie? Es ist kein Spiel.«
»Ja«, sagte ich und faltete meine Hände im Schoß.
»Und Sie schwören, es zu vollenden?«
Ich nahm noch einen Schluck Weinbrand und stellte das Glas ab. »Ich schwöre.«
Auf einmal wurde es totenstill. Madame Sparv drückte das Kartendeck zusammen und reichte es mir. »Wählen Sie Ihre Karte – diejenige, der Sie am ähnlichsten sind.«
So begannen all ihre Sitzungen: Wenn der Suchende ein Anliegen hatte, bat sie ihn, eine Karte zu wählen, die ihn im Lichte seiner Frage am besten repräsentierte. Dass meist Könige, Damen und der eine oder andere Bube gewählt wurden, muss nicht betont werden; während einer normalen Sitzung konnte man bei der Dunkelheit, den flackernden Kerzen und dem ablenkenden schweren Atem des Suchenden die Karten auch kaum erkennen. Aber dieses hier war nicht das Standarddeck. Die Karten waren alt, aber nicht übermäßig abgenutzt, sie waren schwarz bedruckt und handbemalt. Es waren deutsche Karten, und statt der üblichen Farben Karo, Herz, Pik und Kreuz zeigten sie Kelche, Bücher, Weingefäße und etwas, das aussah wie ein Pilz, tatsächlich aber ein Stempelkissen war. Die Bildkarten bestanden aus zwei Buben, dem Unter und dem Ober, sowie dem König; die Dame war zur Zehn herabgestuft. Bild- und Augenkarten waren gleichermaßen mit einer verschlungenen Ornamentik aus Flora, Fauna und menschlichen Figuren aus jedem Lebensabschnitt verziert. Ich war versucht, die Karte zu ziehen, auf der drei Männer fröhlich in einem riesigen Weinfass schwelgten, denn ich dachte voller Zuneigung an den Bacchus-Orden.
»Denken Sie daran, Herr Larsson: In diesem Spiel sollen Sie sich weder schmeicheln noch selbst kritisieren. Lassen Sie sich Zeit, bis Sie sich gefunden haben.«
Drei Mal sah ich das ganze Blatt durch, bevor ich meine Wahl traf. Die Karte zeigte einen jungen Mann auf einem Weg, aber er blickte über seine Schulter zurück, als würde ihm jemand oder etwas folgen. Vor ihm auf dem Boden lag ein Buch, aber er achtete nicht darauf. Am Wegrain blühte eine Blume, doch auch sie fand keine Beachtung. Dass er einen roten Rock, wie ein Sekretär, trug, war mir gleich aufgefallen. Madame Sparv nahm die Karte und legte sie lächelnd in die Mitte des Diagramms.
»Der Unter der Bücher. Das halte ich für eine gute Wahl. Bücher sind das Zeichen für Strebsamkeit, und ich weiß, dass Sie hart für Ihren Rock gearbeitet haben. Diesem Mann stehen zwar alle Möglichkeiten offen – das Buch, das Schwert, die Blume –, er aber nutzt sie nicht. Noch nicht.« Ich spürte ein Kribbeln im Nacken. Madame Sparv nickte zu dem Diagramm hin. »Die graphische Darstellung zeigt die Rollen, die Ihre acht Personen spielen werden. Es kann sein, dass sie nicht in der genauen Reihenfolge vorkommen, und ihre Rollen sind auf den ersten Blick auch nicht immer ersichtlich: Der Lehrmeister kann wie ein Hanswurst daherkommen, und der Gefangene scheint nicht befreit werden zu müssen. Beim Oktavo muss man einen dritten oder auch vierten Blick auf die Menschen um einen herum werfen und sich vor überstürzten Urteilen hüten.« Sie mischte noch einmal und bat mich, abzuheben, dann schloss sie die Augen und drückte das Deck wieder zwischen ihren Handflächen zusammen. Vorsichtig legte sie eine Karte halblinks unter den Suchenden. »Karte 1 . Der Gefährte.« Dann legte sie im Uhrzeigersinn sieben weitere Karten zu einem Achteck aus. Sie blickte lange auf die Karten und murmelte die Namen aller acht.
»Wer ist das nun?«, fragte ich schließlich, und mein Blick wurde von der liebreizenden Dame der Weingefäße angezogen. Carlotta?
»Das weiß ich noch nicht. Wir wiederholen das Legen, bis eine Karte zweimal vorkommt; das ist das Zeichen, dass sie bleiben will. Sie kommt dann an die erste freie Stelle im Diagramm.« Sie ließ mir kurz Zeit, damit ich mir die Lage der Karten einprägen konnte, dann sammelte sie alle bis auf den Unter der Bücher wieder ein und mischte. »Zweiter Durchgang. Aufgepasst!« Sie legte weitere acht Karten aus.
Ich wartete gespannt auf die Dame, aber diesmal lag dort ein ganz anderes Grüppchen. »Wo ist meine Liebeskönigin?«, fragte ich.
Sie schob die acht Karten zurück in den Stapel und begann wieder von neuem.
»Wenn bei dieser Runde keine wiederkommt, mache ich mir ein Kreidezeichen auf einer Schiefertafel.«
Dieses Mal drückte Madame Sparv die Karten lange in den Händen, bevor sie sie legte. Ich beobachtete alles sehr genau, konnte
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