Das Stockholm Oktavo
die Karten der beiden Suchenden, ihre und meine. »Sehen Sie es nicht? Das eine Oktavo hebt das andere nicht auf, im Gegenteil, wir stärken dadurch die Ziele des jeweils anderen. Wie die Gewölbedecke der Storkyrkan. Oder wenn Sie ein eher weltliches Beispiel wünschen: wie ein gemeinsamer Vorstoß. Entweder erreichen wir unser Ziel gemeinsam oder gar nicht.«
Draußen auf der Straße rief ein Nachtwächter die achte Stunde aus, seine Stimme verklang den Hügel hinauf zur Storkyrkan. Ich stand auf und wandte mich zum Gehen, wobei ich Geschäfte auf Södermalm vorschob. »Soll ich an Weihnachten zu Ihnen kommen?«, fragte ich, weil ich dachte, Madame Sparv wäre genauso allein wie ich.
»Sehr nett von Ihnen, aber nein. Die Tage um die Wintersonnenwende sind voll himmlischer Lenkung. Katarina wird Sie benachrichtigen, wenn ich ihre Gesellschaft wünsche.« Mit zwei schnellen Handbewegungen sammelte sie die Karten ein und klopfte sie zu einem ordentlichen Stapel zusammen. »Frohe Weihnachten, Emil. Aber denken Sie daran, dass das neue Jahr Grund zum Feiern geben wird: Wir werden unseren König und nebenbei auch noch den französischen König retten. Und Sie werden Ihren goldenen Weg finden.«
»Wunderbar!«, sagte ich mit dem falschen Jubel, den ich immer an Festtagen empfand. Ich ließ mich selbst durch die Haustür nach draußen und stapfte langsam die Treppen hinunter auf die verlassene, von Schnee überzogene Straße. Die Winterlaternen blakten und führten mich von Lichthof zu Lichthof den ganzen Weg bis zur Skräddargränd. Die Wohnung der Murbecks war dunkel, nur die Hauskatze begrüßte mich mit einem Miauen. Oben schürte ich den Ofen, um die klamme Kälte zu vertreiben, die das Zimmer einhüllte wie ein Leichentuch, und setzte mich hin. Ich malte die Zahl
8
in die Staubschicht, die sich auf dem Tisch gebildet hatte. Dass Liebe und Verbundenheit aus dieser Form hervorgingen, schien unwahrscheinlich, so göttlich die Inspiration auch gewesen sein mochte. Mit der Handkante schlug ich eine breite Bresche durch die Mitte und ging allein ins Bett.
Teil II 1792
Aber es kamen andere Zeiten. Es schien, als wären wir unseres großen Glücks müde, wären unfähig, es zu ertragen; als würde dieses innere Streben, das die Menschen zu einer Veränderung ihrer äußeren Umstände treibt, uns nicht erlauben, uns länger unserer Ruhe zu erfreuen.
Gustav III . in einer Rede zu seinem letzten Reichstag im Februar 1792 .
Kapitel 30
Epiphanias
Quellen: E. L., Madame S., Katarina E., Frau M.
D er Januar 1792 loderte wie ein Feuerwerk am schwarzen Neujahrshimmel. Meine Erinnerung an diese Zeit ist überdeutlich – vielleicht weil es uns schmeichelt, eine Vorahnung zu haben –, aber ich schwöre, dass ich mich nicht entsinnen kann, jemals einen solch außerordentlich spannenden Monat erlebt zu haben. Das Eis auf den vielen Hügeln war trügerisch, der Schnee zertrampelt und voller Unrat, unentwegt erkrankten die Leute an Husten, Schnupfen und Fieber. Doch Wandel lag in der Luft, und ob es nun zum Guten oder zum Schlechten sei, beschleunigt der Wandel immer den Puls und schärft die Sinne. Für viele von uns war es die letzte Glut einer Ära, die danach zu Asche zerfiel: die leere Kutsche vor dem Herrenhaus, funkelnder Staub, der zerstob.
Die Nation war gespalten, Royalisten und Patrioten schlossen ihre Reihen, der Eifer wuchs mit dem Nahen des Reichstags, der im fernen Gävle abgehalten werden sollte. Die Einwohner von Stockholm waren empört über die Wahl dieser Kleinstadt, aber indem der Rat abseits der Hochburg der Patrioten tagte, konnte der König die Teilnahme regulieren und seine Oberhoheit untermauern. Reisen waren teuer und mühsam im Januar, und der Hälfte der Mitglieder des Oberhauses wurden aus zweifelhaften Gründen Reisepapiere verwehrt.
In Schänken und Kaffeehäusern ging die Rede, dass Gustav beabsichtige, die Regierung umzubilden, dass er den Adelsstand auf vierundzwanzig Sitze beschränken und den Bürgerlichen eine echte Mehrheit beschaffen wollte. Die Royalisten hielten die aufgeklärte Herrschaft des Königs hoch, die Patrioten aber schäumten vor Wut. Sie betrachteten Gustav nun als tödliche Gefahr für die Stabilität Schwedens und wollten ihn mit allen Mitteln stürzen. Schnell machten hochverräterische Gerüchte die Runde.
Die Stockholmer rechneten mit einer Revolution oder mit Repressionen, die uns ins Elend stürzen würden, und der Blick vom Rande des Abgrunds war
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