Das Stockholm Oktavo
atemberaubend: Unter der Bedrohung glitzerte die Stadt immer strahlender, Glücksspiel, Billard, Bälle, Konzerte, Feste und Diners wurden so rauschend gefeiert wie nie – als könnte jede Nacht die letzte sein.
Es war während eines der Rautage, am 4 . Januar um drei Uhr nachmittags, die Weihnachtsfesttage gingen zu Ende, es war einer der letzten Abende von ausgelassener Lustbarkeit vor dem feierlichen Gottesdienst am Erscheinungsfest. Fahles Blau hing noch am Himmel im Westen, das kleinste Anzeichen für eine neue Jahreszeit war noch Monate entfernt. Mir stand der Tag bevor, an dem ich mit meinem Vorgesetzten über meine Heirat sprechen müsste, und wahrscheinlich wäre dies mein letzter Tag als Sekretär. Ich öffnete das Fenster einen Spalt, um einen Schwall frische Luft einzulassen. Während der Luftzug mich umwirbelte, hörte ich unten im Treppenhaus Katarinas Stimme. Sie stritt mit Frau Murbeck, denn sie bestand darauf, mir die Nachricht persönlich auszuhändigen. Ich machte meine Wohnungstür auf und ging hinunter.
»Ich kann nicht zulassen, dass junge Damen bei Ihnen ein und aus gehen, Herr Larsson«, sagte Frau Murbeck, die Arme fest über ihrem Busen verschränkt.
»Frau Murbeck, Sie sind die letzte Bastion meines immer schlimmer werdenden Rufs, aber ich versichere Ihnen, dass die junge Dame lediglich eine Botin für eine ältere Dame und Freundin von mir ist.«
Frau Murbeck schnaufte empört und knallte die Tür hinter sich zu. Katarina schlug die Hand vor den Mund, weil sie husten musste. Ihre Augen waren sorgenvoll, sie presste die Lippen zusammen. »Madame bittet Sie zu sich – als Bürger gekleidet, nicht als Sekretär«, flüsterte sie und reichte mir einen kleinen Umschlag, knickste und ging. Ich las:
6 Uhr
.
Ich trug mein Haar ohne Perücke, ein fadenscheiniges graues Jackett mit Stehkragen, einen alten marineblauen Überrock aus Wolle und wickelte mir gegen die Kälte einen gestrickten Schal um. Die Straßen der Stadt waren belebt an diesem Festtagsabend, aber meine Schultern verkrampften sich immer mehr, je näher ich der Gråmunkegränd kam. Im Torweg war es still, und auf der Treppe hallten nur meine eigenen Schritte wider. Hier wurde nicht gefeiert.
Katarina öffnete auf mein Klopfen hin einen Spalt und musste zweimal hinsehen. »Herr Larsson?«, wisperte sie. Ich nickte. Sie zog die Tür gerade so weit auf, dass ich hindurchgehen konnte, dann verriegelte sie sie wieder. In das kalte, leere Treppenhaus fiel schwaches Licht aus dem großen Spielsaal.
»Keine Spieler heute Abend?« Meine Stimme hallte durch die Dunkelheit.
»Madame sagt, mit den Karten sei es bis zum Frühjahr oder so vorbei. Durch die Gefolgschaft des Herzogs ist die Stimmung umgeschlagen. Es werden mehr Drohungen ausgesprochen als Wetten platziert«, sagte sie und blieb stehen, um sich die Nase zu putzen. »Doch Madame sagt, dass wir die Wahrheitssuchenden empfangen, und das freut mich. Denn ohne Kunden habe ich keine Arbeit.«
Wir gingen zur Tür des Salons, Katarina nickte – ich sollte hineingehen. An einem Tisch saß eine Frau und blickte aus dem Fenster zum Kirchturm der Storkyrkan, deren Glocken sechs Uhr schlugen. Sie saß mit dem Rücken zu mir, und im Schein der Kerze auf dem Tisch sah ich nur ihre Silhouette. Ihre Perücke war in einem Stil frisiert, den ich zuletzt als Kind gesehen hatte – eine lächerliche und viel zu weiße Hochfrisur. Auch ihr hellbeiges Kleid war altmodisch, eine raffinierte
robe à la française
mit weiten, gebauschten Ärmeln ab den Ellbogen und einer plissierten Schleppe, die vom Nacken auf den Boden fiel. Neben einem leeren Kristallglas lagen ein offener Fächer und ein Stapel Papiere. Womöglich wartete hier eine Schauspielerin vom Bollhuset-Theater zwischen zwei Akten wegen Liebeskummers auf eine Sitzung bei Madame Sparv.
»Pardon … Mademoiselle?«, sagte ich. Im trüben Licht konnte ich das Alter der Dame nicht schätzen. Sie drehte sich mit dieser steifen, langsamen Bewegung um, die Mieder und Korsetts erforderten. Über ihren Oberkörper hatte sie ein weißes Tuch gelegt. Ihr Gesicht war stark gepudert, die Wangen hatte sie leuchtend rot geschminkt.
»Bitte setzen Sie sich, Emil. Wir haben wenig Zeit«, sagte Madame Sparv, ihre Zähne schimmerten in dem Oval ihrer rotbemalten Lippen.
Ich starrte in das Gesicht und suchte meine Freundin unter dieser Maske. Sie sah aus wie eine alternde Kurtisane, deren Kleid und Auftreten in eine vergangene Zeit gehörten –
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