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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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entweder in die Zeit ihres Ruhms oder ihres Niedergangs. Schließlich setzte ich mich. »Ich muss zugeben, ich bin erschrocken, Madame Sparv, Sie in diesem … ungewöhnlichen Aufzug zu sehen.«
    »Das bezweifle ich nicht. Katarina hat mir geholfen, mich herzurichten, und erkennt mich trotzdem nicht wieder.« Sie wischte einen Krümel von ihrem Oberteil, die Spitzenärmel flatterten um ihre Hände. »Ich werde nun meinen Gefährten treffen.«
    »Dann hat Gustav also endlich auf Ihre Briefe geantwortet«, sagte ich und beugte mich lächelnd zu ihr vor.
    »Nein, hat er nicht. Aber ich habe von meinem Lehrmeister eine Lektion bekommen, von der Uzanne. Ich werde die Waffen meines Geschlechts einsetzen und ihn in der Oper aufsuchen. Der König ist fast jeden Abend dort, und wenn eine Dame kommt, die er kennt, verlangen die guten Manieren es, dass er sie grüßt. Er war schon immer empfänglich für weiblichen Charme, wenn nicht gar für das weibliche Geschlecht. Ich brauche nur wenige Augenblicke, um mein Anliegen vorzutragen.«
    Ich nickte zustimmend. »Und was ist Ihr Anliegen?«, fragte ich.
    Für eine Frau, die nicht an so extravagante und hinderliche Kleidung gewöhnt war, stand sie erstaunlich anmutig auf und ging um die Tische herum. »Dass er unverzüglich handeln muss, um den französischen König zu retten. Ich habe meine Kunden und Freunde, die ich noch bei der Polizei habe, reden hören. Gustav arbeitet unermüdlich daran, eine Armee aus ganz Europa auszuheben, und will im Frühjahr in Paris einmarschieren. Letzten August haben Österreich und Preußen ein Abkommen unterzeichnet und sich zu seinen Verbündeten erklärt. Er hat Kundschafter ausgesandt, die mögliche Marschrouten vom Landungspunkt in der Normandie kartieren sollen. Aber möglicherweise erlebt Gustav das gar nicht mehr. Die Opposition in der Stadt wird tagtäglich stärker und verzweifelter.« Sie hielt sich an der Rückenlehne ihres Stuhls fest. »Wenn Gustav überleben will, kann er nicht bis zum Frühjahr warten. Axel von Fersen ist angriffsbereit, der Fehlschlag von Varennes im letzten Sommer treibt ihn um, er ist in Brüssel und hat Mittel und Wege, das Palais des Tuileries zu stürmen und die Gefangenen zu befreien. Gustav muss diesen Plan abzeichnen,
bevor
er nach Gävle aufbricht, er muss von Fersen umgehend nach Paris schicken und den französischen König dort herausholen, bevor der Reichsrat getagt hat.«
    »Aber wie soll dieser Plan König Gustav vor Schaden bewahren?«
    »Eine solche Heldentat wird Gustav zur Legende machen, sein Name wird unsterblich. Im strahlenden Glanz seines Ruhmes werden seine Feinde schrumpfen. Europa wird stabilisiert, Monarchie und Ordnung werden wiederhergestellt. Und als Dank werden eine Million Francs in die Stadt rollen. Dieser letzte Punkt wird Wasser auf die hiesigen Mühlen gießen und den Adel mit Gustav versöhnen.«
    »Tja«, sagte ich, »dann geht’s also nur ums Geld.« Madame Sparv zog einen Schmollmund, sie zuckte mit den Achseln wie Margot und setzte sich mir wieder gegenüber. »Das Ereignis im Mittelpunkt Ihres Oktavos ist somit … die Rettung der Monarchie in Frankreich?« Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, so überaus hitzig brachte ich diese Feststellung hervor.
    »Das zentrale Ereignis meines Oktavos ist noch immer dasselbe: meinen Freund Gustav zu retten. Zu diesem Zweck ist die Rettung Ludwigs XVI . eine ruhmvolle Tat, oder nicht?« Sie nahm ihren Fächer. »Doch bis dahin müssen wir verhindern, dass Gustav zu Schaden kommt.«
    »Aber warum ich?«
    »Weil unsere Oktavos ineinandergreifen, das eine Ereignis wird das andere beeinflussen. Anders ist es nicht möglich. Vor Ihnen liegt der goldene Weg, und wenn wir zusammenarbeiten, werden Sie ihn umso schneller erreichen.«
    Mir war plötzlich ganz schwindlig – als würden die hochfliegenden Pläne meiner Freundin mir den Boden unter den Füßen wegziehen –, und die schleichende Übelkeit, die mich seit Tagen verfolgte, ergriff Besitz von meinem ganzen Körper. »Ich glaube, ich brauche ein Glas Weinbrand«, sagte ich und lockerte meinen Kragen.
    »Ja, einen Weinbrand. Sie räuspern sich schon den ganzen Abend, Emil, vielleicht haben Sie eine Halsentzündung.« Sie rief nach Katarina, die zwei saubere Gläser, eine Wasserkaraffe und eine verstaubte Cognacflasche brachte.
    »Kann ich nun gehen, Madame?«, fragte sie.
    »Noch nicht.« Sie sah zu, wie Katarina einen Knicks machte und in die Küche zurückeilte. »Sie hat

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