Das Stonehenge - Ritual
zuteilwerden lasst. Geheiligte Götter, ich bitte euch voller Demut, unserem Bruder einen Platz in eurer Gunst einzuräumen.« Er schreitet zum Schlachtstein und schneidet jeweils eine Linie vom Handgelenk bis zur Schulter, vom Fußknöchel bis zum Ansatz des Oberschenkels und vom Nacken bis zum unteren Ende der Wirbelsäule.
Lee verspannt sich. Die Welle des Schocks trifft ihn mit voller Wucht. Er kämpft gegen den Drang zu schreien. Ein starker Adrenalinstoß dämpft den Schmerz. Er spürt ein heißes Kratzen, das sich zu einem Brennen und dann zu einem heftigen Ziehen entwickelt, während sein Körper mit weiteren Schnitten überzogen wird.
Für diejenigen, die zuschauen, ergeben die blutenden Linien in seinem Fleisch allmählich die Form eines Sterns. Sie alle haben dasselbe Ritual über sich ergehen lassen und nackt dieselbe Demütigung ertragen. Sie kennen auch den Schmerz, der ihm noch bevorsteht.
Der Henge-Meister kniet nieder. Unter seinem Umhang zieht er den Zeremonienhammer hervor. Er platziert die Steinklinge am Schädel des Novizen.
»Dem Blut, das wir für euch vergossen haben, fügen wir nun das Fleisch und das Gebein hinzu, das unsere Treue und Hingabe beweist.«
Der Henge-Meister schwingt den schweren Hammer und sieht, wie er auf den Griff des Messers trifft. Die Klinge meißelt ein Stück aus der Kopfhaut und dem Schädelknochen heraus.
Nun schreit er doch.
Die Dunkelheit greift nach ihm und hält ihn fest.
Als Lee Johns das Bewusstsein wiedererlangt, ist das Große Gewölbe leer. Er liegt, wo er war – noch immer festgebunden, mit dem Gesicht nach unten. Der Eingang der Kammer ist erneut durch den Marmorblock versiegelt. Lee kennt sein Schicksal.
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Freitag, 18 . Juni
Es ist ein wolkenloser Morgen – die Meteorologen haben den bisher wärmsten Tag des Jahres angekündigt. Megan cremt Sammy mit Faktor dreißig ein, steckt die Tube in ihre Pausentasche und fährt sie in den Kindergarten.
Sie kann es kaum erwarten, sich an die Arbeit zu machen und für den Einbruch in Tollard Royal ein Täterprofil zu erstellen. Die gestrige Fahrt dorthin hat sich als reiche Quelle psychologischer Anhaltspunkte erwiesen – von denen die meisten auf dem Beweismaterial basieren, das Rob Featherby und die Spurensicherungsmannschaft von Shaftesbury am Tatort sichergestellt haben.
Als sie endlich an ihrem Schreibtisch sitzt, geht sie zunächst die Liste mit dem Beweismaterial noch einmal durch: ( 1 ) Werkzeugtasche, sichergestellt nahe der rückseitigen Gartenmauer. ( 2 ) Blutspuren an Glasscherben des Gewächshauses. ( 3 ) Kleiner Stofffetzen, sichergestellt auf Wildrosenbusch. ( 4 ) Wegwerffeuerzeug, sichergestellt in Erdreich nahe Maulwurfshügel. ( 5 ) Fußabdrücke auf Beeten, Rasen und Boden des Hauses.
Megan beginnt mit dem letzten Punkt. Die Fußabdrücke stammen von einem Sportschuh Größe dreiundvierzig, dessen Marke erst noch ermittelt werden muss. Dreiundvierzig ist eine ganze Nummer größer, als der durchschnittliche männliche Brite trägt. Die Schuhgröße liefert Hinweise – wenn auch keine gesicherten Erkenntnisse – hinsichtlich der Größe des Täters. Der Mann, dem der Schuh gehört, ist vermutlich größer als der Durchschnittsengländer mit seinen gut eins fünfundsiebzig. Megan tippt auf eins achtzig. Weitere Hinweise liefert die Tiefe der Abdrücke in den Blumenbeeten. An manchen Stellen ist der Täter nur mit dem vorderen Teil des Fußes aufgetreten, an anderen nur mit den Fersen. Dass es sich um so tiefe Eindrücke handelt, lässt darauf schließen, dass er Schwierigkeiten hatte, das Gleichgewicht zu halten, und wahrscheinlich mehrmals fast ausgerutscht wäre. Vielleicht war er auch ein bisschen zu schwer für einen richtig gelenkigen Einbrecher. Bei einer Größe von eins fünfundsiebzig wiegt der britische Durchschnittsmann um die zweiundachtzig Kilo. Megan schätzt, dass der Einbrecher ein paar Kilo mehr auf die Waage bringt. Bei einem solchen Gewicht und der von ihr geschätzten Körpergröße dürfte er einen Brustumfang von gut hundertfünf Zentimetern und einen Bauchumfang von etwa fünfundneunzig Zentimetern haben. Das ist deswegen so wichtig, weil er möglicherweise seine Kleidung entsorgt oder unter Umständen sogar in einen der Läden gebracht hat, die für wohltätige Zwecke gebrauchte Kleidung verkaufen. Erfahrungsgemäß machen das viele Täter.
Als Nächstes widmet sich Megan dem Wegwerffeuerzeug. Höchstwahrscheinlich handelt es sich dabei um das
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