Das Stonehenge - Ritual
durch und verfolgen bereits erste Spuren. Und ganz bestimmt haben Sie auch schon Kontakt mit der Familie aufgenommen und sich mindestens ein Foto besorgt.«
Megan ignoriert den Sarkasmus ihrer Chefin. »Ma’am, ich arbeite immer noch am Fall Nathaniel Chase.«
»Das habe ich nicht vergessen, ich leide schließlich nicht unter Alzheimer. Deswegen kann ich mich auch deutlich daran erinnern, dass Sie parallel dazu an dem Vermisstenfall arbeiten sollten, den ich Ihnen übergeben habe – also legen Sie endlich los!« Mit einem drohenden Blick biegt sie in Richtung ihres eigenen Büros ab.
Fluchend steuert Megan auf ihren Schreibtisch zu. Dabei schwappt ein wenig von dem heißen Tee aus der windigen Plastiktasse über ihre Finger, so dass sie schon wieder fluchen muss. Nachdem sie sich mit einem Papiertaschentuch die Hände abgetrocknet hat, öffnet sie die MP -Datei, die ihre Chefin ihr aufs Auge gedrückt hat. Megan hatte eigentlich gehofft, das Ganze an Jimmy Dockery weiterdelegieren zu können, doch der hat offenbar das Weite gesucht, ohne sich bei ihr abzumelden.
Sie überfliegt die Zusammenfassung: Die Zwillingsschwester eines fünfundzwanzigjährigen Landstreichers namens Tony Naylor hat ihn als vermisst gemeldet – wie es aussieht, schon mehrmals. Naylor ist arbeitslos und hat ein Alkoholproblem. Allem Anschein nach verdient er sich als Aushilfsbauarbeiter hin und wieder ein bisschen Bares.
Er ist der klassische Taugenichts, der von der Hand in den Mund lebt. Eltern scheint er nicht zu haben. Einen festen Wohnsitz auch nicht. Der Kerl hängt nur herum, lebt von der Stütze und arbeitet gelegentlich ein bisschen schwarz. Ein Geist im Getriebe. Megan liest weiter. Der einzige Mensch, mit dem er regelmäßig Kontakt hat, ist offenbar besagte Schwester, Nathalie. Er meldet sich – auf ihre Kosten – einmal die Woche telefonisch bei ihr.
Megan sucht nach der Nummer, tippt sie ein und lässt es klingeln.
»Ja?« Die Stimme klingt zögerlich.
»Miss Naylor?«
»Mit wem spreche ich?«
»Detective Inspector Baker, Polizei Wiltshire. Ich wollte mit Ihnen über Ihren Bruder reden. Sie haben ihn doch vermisst gemeldet.«
»Haben Sie ihn gefunden?«
»Ich fürchte, nein. Das ist
nicht
der Grund meines Anrufs. Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«
Die junge Frau stößt einen frustrierten Seufzer aus. »Ich habe das alles doch schon mal erzählt. Die Polizisten auf dem hiesigen Revier wissen über sämtliche Einzelheiten Bescheid. Warum sprechen Sie denn nicht mit denen?«
»Ich bin von der Kripo, Miss Naylor. Sie haben mit uniformierten Beamten gesprochen.«
»Ach so. Verstehe.« Offenbar ist ihr der Unterschied klar. »Also gut. Was wollen Sie wissen?«
»Wann haben Sie das letzte Mal von ihm gehört?«
»Vor drei Wochen.«
Megan wirft einen Blick in ihre Unterlagen. »Man hat mir gesagt, dass er Sie für gewöhnlich einmal die Woche anruft.«
»Nicht nur für gewöhnlich.
Immer
. Er vergisst es nie.«
»Wissen Sie, wo er war und was er gemacht hat, als er Sie das letzte Mal anrief?«
Nathalie zögert. »Hören Sie, ich möchte Tony nicht in Schwierigkeiten bringen. Kann ich Ihnen bestimmte Sachen sagen, ohne dass es sich für ihn negativ auswirkt?«
Megan hat keine Lust, sich auf irgendwelche Verhandlungen einzulassen. »Miss Naylor, Sie haben die Polizei angerufen, weil Sie sich Sorgen um Ihren Bruder machen. Ich kann mich an der Suche nach ihm nur dann beteiligen, wenn Sie mir gegenüber ehrlich sind.«
Nach einer kurzen Pause rückt Nathalie heraus: »Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe, hat er gesagt, er sei in Swindon. Um ein paar irischen Kumpels auszuhelfen, glaube ich. Bei irgendwelchen Bauarbeiten. Ausschachten und Betonieren, solche Sachen. Er hat gesagt, es sei ein Job ganz in der Nähe von Stonehenge. Er hat sich darauf gefreut, weil er noch nie dort war.«
»Und seitdem haben Sie nichts mehr von ihm gehört?«
»Kein Wort.«
»Wissen Sie, wie diese Iren heißen?«
»Nein. Er hat zwar von einem Mick gesprochen, aber ich bin mir nicht sicher, ob er damit wirklich einen Michael gemeint hat oder nur einen von den Micks. Sie wissen schon, so nennt man bei uns doch die Iren.«
»Und Sie haben keine Nummer, unter der Sie ihn erreichen können?«
»Nur die von seinem Handy, aber das ist tot. Tut mir leid.«
Megan fährt fort. »Haben Sie beide sich bei Ihrem letzten Telefonat wegen irgendwas gestritten?«
»Nein!« Sie klingt fast beleidigt.
»Miss Naylor, wenn es zwischen
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