Das Stonehenge - Ritual
wichtig – Zahnpasta, Shampoo, Rasierschaum und -klingen, außerdem ein paar Unterhosen, Socken, ein Deo und sogar eine Haarbürste.
Gleich nach der Kasse stürmt er in Richtung Toilette, um sich etwas herzurichten. Was für ein gutes Gefühl, endlich wieder eine eigene Zahnbürste zu benutzen und nicht mehr auf das gebrauchte Exemplar angewiesen zu sein, das ein namenloser Gast seines Vaters zurückgelassen hat. Ihm fällt noch etwas ein. Er kehrt in die Lebensmittelabteilung zurück und vervollständigt seine Einkäufe mit einem Stück Cheddarkäse, einer Packung Kekse, einer Tafel Schokolade und einer Auswahl an Obst – den Sachen, die sein Vater auf seiner Einkaufsliste stehen hatte, aber nicht mehr kaufen konnte.
Auf dem Weg nach draußen wirft Gideon einen sehnsuchtsvollen Blick zu einem kleinen Café hinüber. Seit er an diesem Morgen fast an seinen trockenen Cornflakes erstickt ist, träumt er von einem üppigen englischen Frühstück. Vielleicht nachher. Wenn ihm dann nicht wieder schlecht ist. Er fragt einen alten Mann, der einen Labrador spazieren führt, wie er am schnellsten in die Bleke Street kommt.
Ein paar Minuten später steht er dort – im wahrsten Sinne vor den Pforten des Todes.
Die Firma Abrahams und Cunningham ist auf dem Bestattungssektor, was die Kanzlei Chepstow, Chepstow und Hawks auf dem Anwaltssektor ist: traditionell, altmodisch, streng. Für den Bruchteil einer Sekunde gibt Gideon sich der Illusion hin, aus Versehen in die Diele einer verschrobenen alten Tante gewandert zu sein. Eine samtige Streifentapete und dicke dunkelgrüne Teppiche weisen ihm den Weg in den tristen Empfangsbereich.
Die Theke ist nicht besetzt. An der Wand hängt ein unaufdringliches Schild: »Bitte klingeln.« Darunter befindet sich eine glänzende, mit einem weißen Knopf versehene Messingplatte. Gideon klingelt nicht. Stattdessen wandert er einfach weiter, den Gang entlang. Warum er das tut, weiß er selbst nicht so genau. Ein innerer Drang zwingt ihn dazu. Er möchte hinter die langweilige, glatte Fassade blicken – sich erst ein wenig mehr Einblick verschaffen, ehe er den Schritt in die düstere Geschäftswelt der Bestattungen und Einäscherungen wagt.
Hinter der ersten Tür befindet sich ein Raum voller Särge. Eine Art Ausstellungsraum. Zweifellos beginnt dort der sanfte Prozess der Überredung zu Eiche oder Zeder statt billiger Kiefer oder Sperrholz. Der Raum nebenan ist offenbar fürs Personal gedacht: ein paar Stühle, ein großer Tisch, Mikrowelle, Spülbecken, Kaffeemaschine. Das Leben geht weiter, auch wenn man ständig mit dem Tod zu tun hat.
Der dritte Raum erschreckt ihn. Allein schon der Geruch nach Einbalsamierungsflüssigkeit. Und dann das viele Metall. Viel zu viel davon. Stahlspülbecken, Metalltische mit Rollen, metallene Gerätschaften. Ein junger Mann in einem weißen Mantel blickt von einem Stück grauem Fleisch hoch. »Oje, Sie haben sich wohl verlaufen!« Zögernd tritt er hinter der leblosen Gestalt hervor, die ausgestreckt auf ihrem Rolltisch liegt. »Sind Sie ein Angehöriger? Kann ich Ihnen helfen?« Während der junge Mann näher kommt, versucht er, Gideon den Blick auf die Leiche zu versperren. »Am besten, Sie gehen zurück in den Eingangsbereich. Ich verständige gleich jemanden, der sich um Sie kümmern wird. In Ordnung?«
Gideon nickt. Ihm ist nicht entgangen, dass der Mann die Hände hinter dem Rücken verbirgt, damit er, Gideon, die roten Spuren auf den weißen Gummihandschuhen nicht sieht.
»Entschuldigen Sie«, sagt Gideon im Hinausgehen. Rasch kehrt er zu dem Klingelknopf zurück. Diesmal drückt er ihn. Binnen einer Minute erscheint ein untersetzter Mann Mitte vierzig. Er hat lockiges Haar und trägt eine braun gerahmte Brille. Während er auf Gideon zusteuert, streicht er sein dunkles Jackett glatt. »Craig Abrahams. Mister Chase?«
Gideon gibt dem Mann die Hand. »Gideon Chase.«
»Mein aufrichtiges Beileid, Mister Chase. Möchten Sie Ihren Vater gleich sehen, oder würden Sie sich lieber einen Moment setzen und über die Bestattungsmodalitäten sprechen?«
»Ich möchte ihn nur sehen.«
»Wie Sie wünschen. Bitte folgen Sie mir.«
Der Mann führt ihn den Gang entlang, der mit einem wasserblauen alten Axminster-Teppich ausgelegt ist. Für einen Moment hat Gideon das Gefühl, in einem Bach zu wandern. Durch die Tür am Ende des Korridors gelangen sie auf einen weiteren, weniger hell beleuchteten Gang. Vor einem Raum, an dessen Tür
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