Das Strandhaus
Amy schaute zu dem immer dunkler werdenden Himmel hinauf. »Ich glaube, es gibt ein Gewitter.«
»Nur einen kurzen Spaziergang«, bettelte Buddy. »Wenn es zu regnen anfängt, kannst du ja mit ins Haus kommen und das Unwetter dort abwarten.«
Amy blickte in seine Augen. Dunkle, traurige, flehende Augen.
Soll ich mit ihm gehen?, überlegte sie.
Sie spürte, dass ihr Herz immer noch raste. Ihr Mund fühlte sich so trocken wie Sand an.
Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll, dachte sie.
Buddy stand bewegungslos da, wartete geduldig auf ihre Antwort.
6. Kapitel
Sommer 1995
»Ich habe immer noch das Gefühl, als müssten wir Lucy und Kip jeden Moment über den Weg laufen«, sagte Ashley, während sie über den überfüllten Strand hinwegschaute.
Es war ein heißer, feuchter Tag, Die Sonne stand hoch an einem grauen, dunstigen Himmel, kein Lüftchen regte sich, noch nicht einmal am Wasser. Die Wellen waren niedrig, kamen in weiten Abständen und brachen sich direkt auf dem Sand. Ashley fiel auf, dass im Ozean fast so ein Gedränge wie am Strand herrschte, weil die Leute Abkühlung im Wasser suchten.
Sie und Ross bahnten sich einen Weg um Sonnenschirme und Strandlaken herum und strebten zum Wasser.
In der Nähe übten zwei junge Farbige in ausgebeulten Bermudashorts einen komplizierten Tanzschritt ein, ihr Ghettoblaster auf volle Lautstärke eingestellt.
»Es ist so laut heute«, jammerte Ross.
»Du klingst allmählich wie ein alter Mann«, witzelte Ashley. Sie imitierte, einen missgelaunten alten Kerl. »Stell das Radio leiser! Bist du taub, oder was?«
Ross zog die Augenbrauen hoch. »So klinge ich nun wirklich nicht«, protestierte er und versetzte ihr spielerisch einen Schubs, der sie fast über zwei junge Frauen hätte stolpern lassen, die auf einer Decke lagen.
»Wenn es dir zu laut ist, bist du zu alt«, gab sie zurück. Plötzlich schrie sie auf und griff hart nach seinem Arm.
»Entschuldige«, murmelte sie gleich darauf. »Ich dachte, ich hätte Lucy gesehen. Der Gedanke verfolgt mich ständig.« Sie zeigte nach vorn. »Das Mädchen da. Sieht sie nicht genau aus wie Lucy?«
Ross versuchte, ihrem Blick zu folgen. »Tut mir Leid, ich sehe sie nicht.«
»Sie hat sich gerade hingesetzt. Ist ja auch egal.«
Er seufzte. »Ich muss auch immer an Lucy und Kip denken«, gestand er leise. »Ich meine, irgendwo müssen sie doch sein, nicht?«
»Ja«, erwiderte Ashley bedrückt. »Zwei Leute können sich nicht einfach in Luft auflösen.«
»Wirklich eigenartig.« Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Es ist nun schon Tage her. Kein Zeichen von ihnen. Nicht die geringste Spur.«
»Die Polizei hat Lucys Eltern glauben machen wollen, dass Lucy und Kip zusammen abgehauen sind«, sagte Ashley. »Glaubst du das? Ich meine, so ernst war es Lucy mit Kip doch gar nicht. Ich denke, sie mochte ihn noch nicht mal so besonders.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Ross nachdenklich. »Es ist nicht nett, so etwas zu sagen. Ich meine, weil er vermisst wird und alles. Aber ich mochte ihn auch nicht sonderlich. Ich finde, er war irgendwie ein Widerling.«
»Stimmt. Kip fühlte sich ständig angegriffen. Er bildete sich ernsthaft ein, wir schauten auf ihn herab, weil er in den Ferien arbeiten musste.«
»Ich habe versucht, freundlich zu ihm zu sein«, erklärte Ross, während er das Gummi um seinen Pferdeschwanz im Gehen fester zog. »Aber er hat sich einfach abgewandt. Du weißt schon. Hat mir den Rücken zugekehrt und getan, als schliefe er oder so.«
»Und er hatte überhaupt keinen Sinn für Humor«, fügte Ashley hinzu. »Es hat ihn echt wütend gemacht, wenn wir herumgeblödelt haben.«
»Ich kann nicht glauben, dass wir über Kip reden, als wäre er tot«, sagte er und schluckte hart.
»Ja. Wenn Kip tot ist, bedeutet das, dass Lucy …« Sie wollte ihren Satz lieber nicht beenden. »Lass uns das Thema wechseln«, sagte sie hastig. »Wir haben die Sache wieder und wieder durchgesprochen. Und es bringt uns ja doch nicht weiter. Es macht uns nur noch deprimierter.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte er düster.
Ashley kickte ihre Nike-Turnschuhe von den Füßen, nahm sie in die Hand und watete ins Wasser hinein. »Huch! Ich dachte, es wäre wärmer!«
Ross schlenderte neben ihr auf dem Trockenen Sand her.
»Gehen wir nun zu Brian oder nicht?«, erkundigte Ashley sich nach einer Weile zögernd, weil sie wusste, es war ein brisantes Thema.
»Wir?«, fragte er sarkastisch zurück. »Du meinst, dein neuer Freund hat
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