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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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du?«
      »Ja.«
      »Keine Ahnung. Ich habe noch keine Pläne.«
      »Du kannst ja nicht für immer hier bleiben.« Sie schaute sich im Zimmer um, wo die Kerzen und das Feuer Schatten wie dunkle Segel im Sturm warfen, und dann hinaus auf den märchenhaften Garten im Schnee. »So schön es auch ist, das ist nicht das echte Leben. Auf jeden Fall nicht deins.«
      »Und was ist mein Leben?«
      »Mein Gott, du hast einen super Abschluss gemacht. Wozu hast du eine so gute Ausbildung?«
      Kirsten lachte. »Wenn dich einer hören könnte! Du klingst ja wie ein Berufsberater oder so.«
      Sarah biss sich auf die Lippe und schaute weg.
      »Entschuldige.« Kirsten berührte ihre Schulter. »Ich hab's nicht so gemeint. Ich habe einfach noch nicht darüber nachgedacht. Wahrscheinlich habe ich die Zukunft verdrängt und ärgere mich, wenn ich daran erinnert werde.«
      »Warum gehst du nicht wieder zur Uni und machst deinen Magister? Es muss ja nicht im Norden sein, wenn du nicht willst. Eine Menge anderer Unis würden dich mit Kusshand nehmen.«
      Kirsten nickte langsam. »Ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Aber ich könnte erst im nächsten Semester anfangen. Und was soll ich in der Zwischenzeit tun?«
      Sarah lachte. »Woher soll ich das wissen? Bin ich ein Berufsberater, oder was? Aber im Ernst, du könntest dir doch einen Job in Bath suchen. Nur damit du was machst und was um die Ohren hast. Wenn du in diesem Dorf rumhängst, hast du zu viel Zeit, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Was wäre zum Beispiel mit einer Buchhandlung? Das würde dir wahrscheinlich gefallen.«
      »Und was soll meine Mutter denken?« Sie setzte einen Mädchenpensionatston auf. »Es ist schrecklich gewöhnlich, Verkäuferin zu werden, Liebes.«
      Sarah lachte. »Ist sie deswegen so eisig zu mir? Vielleicht sollte ich ihr erzählen, dass meinem Vater halb Herefordshire gehört. Meinst du, das würde helfen?«
      »Bestimmt. Sie ist ein fürchterlicher Snob.«
      »Aber ernsthaft, Kirsten, du musst was tun und machen, dass du hier rauskommst. Was ist mit Toronto? Du könntest zu Galen fahren.«
      Kirsten schenkte Cognac nach. Es war halb zwölf. Mozarts Requiem war gerade zu Ende gegangen und die Welt draußen war ruhig und still.
      »Und?«, drängte Sarah. »Was ist damit? Oder ist es wirklich aus zwischen euch?«
      Kirsten starrte ins Feuer. Die Flammen leckten am Holz wie zornige Zungen. Wenn ich es ihr jetzt nicht erzähle, dachte sie, werde ich es wahrscheinlich nie tun. Sie schaute Sarah an, die so schön im winterlichen Kaminlicht aussah. Rote, orangefarbene und gelbe Flammen tanzten in ihren Augen und flimmerten über ihr Gesicht. Ihre Haut wirkte beinahe durchsichtig, besonders dort, wo das Feuer scheinbar ein zartes Korallenmuster über ihre Nasenflügel und ihre Wangenknochen warf. Und sie hatte alles: nicht nur das Aussehen, sondern einen vollkommenen Körper. Sie konnte mit jemandem schlafen und Orgasmen haben und Kinder kriegen.
      »Was ist?«, fragte Sarah sanft.
      Kirsten spürte, dass eine Träne aus einem Augenwinkel gekullert war. Schnell wischte sie sie weg. Sie musste mit dieser Heulerei aufhören. Einmal war in Ordnung, es hatte geholfen, ihre Anspannung zu lösen, aber es durfte nicht zur Gewohnheit werden, zur Schwäche.
      Bei einer weiteren Zigarette erzählte sie Sarah schließlich, was wirklich mit ihrem Körper geschehen war. Sarah hörte entsetzt zu und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie schenkte wieder Cognac nach. Sie lehnten sich gegen das Sofa, und Sarah legte einen Arm um Kirsten und drückte sie an sich. Es gab keine Tränen mehr. Sie saßen einfach da, zufrieden und schweigend für eine Weile, und nippten ihren Remy Martin. Dann fluchte Sarah leise: »Scheiße, es ist zehn nach zwölf. Wir haben das neue Jahr vergessen.«
      Kirsten schaute auf, der Bann war gebrochen. Ihr Rücken schmerzte von der Position, in der sie gesessen hatte. »So ist es. Egal. Ich hole den Veuve Cliquot und dann werden wir etwas verspätet auf unser neues Jahr anstoßen.« Sie stand auf, rieb ihre schmerzenden Muskeln und ging in die Küche.
      Und dann hatten sie sich Champagner eingeschenkt, »Auld Lang Syne« gesungen und sich um zwanzig nach zwölf ein frohes neues Jahr gewünscht.
      Und jetzt war Sarah weg. Kirsten lief ziellos durch Bath, die Straßen waren deprimierend still und verlassen nach den Feiertagen, und sie dachte daran, was Sarah über die

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