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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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raus, aber nur für meinen eigenen Bedarf und immer am Tage.«
      »Ich dachte nur ... ach, egal.«
      »Nein, ich bin Tischler. In der Saison arbeite ich zudem viel fürs Theater - Chefkulissenbauer und Flaschen-spüler.«
      Martha war verwirrt. Sie hatte definitiv damit gerechnet, dass sie einen Fischer suchte. Wenn sie jetzt jedoch darüber nachdachte, wusste sie nicht mehr so genau, weshalb sie sich so darauf versteift hatte. Vielleicht lag es an dem Geruch, dem Fischgeruch. Aber jeder, der am Meer lebte, konnte ihn leicht annehmen. Und er hatte ja gesagt, dass er ab und zu fischen ging. Nein, sagte sie sich, sie konnte sich nicht geirrt haben. Keine Ausflüchte. Folge deinem Instinkt.
      »Machen Sie das schon lange?«, fragte sie.
      »Was - Tischlerei oder Theater?«
      Martha zuckte mit den Achseln. »Beides.«
      »Seit ich mit der Schule fertig bin. Die einzige Sache, für die ich je etwas getaugt habe, war die Tischlerei, und am Theater war ich schon immer interessiert. Nicht an der Schauspielerei, nur an dem Drumherum - wie man Illusionen erzeugen kann. Und Sie?«
      »Haben Sie auch mal woanders gearbeitet oder waren Sie immer hier?«
      »Ich bin ein bisschen gereist. Durch die Provinz. Hier gibt es nicht immer genug Arbeit für mich, aber ich lebe nun mal hier. Es ist eben meine Heimat.«
      »Sind Sie hier geboren und groß geworden?«
      »Ja. Ein waschechter Whitbyer. Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
      Martha spürte die Kälte der Meeresbrise und legte sich wieder ihre Jacke über die Schultern. »Welche Frage?«
      »Ich habe nach Ihnen gefragt.«
      Martha lachte und schob eine Haarsträhne zurück, die der Wind gelöst hatte. »Ach, ich bin leider nicht besonders interessant. Ich komme aus Portsmouth und bin nur eine langweilige Schreibkraft in einem langweiligen Büro.«
      »Dann sind Sie das Meer ja gewöhnt, oder?«
      »Entschuldigung?«
      »Das Meer. Portsmouth ist doch ein berühmter Marinestützpunkt, nicht wahr?«
      »Ach so, das Meer. Meine einzige Erfahrung mit dem Meer war eine Fahrt mit einem Luftkissenboot zur Isle of Wight. Und selbst davon wurde mir übel.«
      Er lachte. »Hören Sie, möchten Sie noch irgendwo etwas trinken gehen? Ich hoffe, Sie halten mich nicht für dreist oder so, aber ...«
      »Nein, überhaupt nicht.« Martha dachte schnell nach. In einen Pub konnte sie nicht mit ihm gehen, das stand fest. Bisher war ihre einzige Verbindung zu ihm der Lucky Fisherman, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass außer Keith irgendjemand ihren flüchtigen Blickkontakt am vergangenen Abend bemerkt hatte. Aber sich nun mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen, wäre zu gefährlich.
      »Und?«
      »Eigentlich habe ich keine Lust auf einen Drink. Der Abend ist viel zu schön, um in einer lauten, verrauchten Kneipe zu sitzen. Warum gehen wir nicht einfach ein Stück?«
      »Nichts dagegen. Wohin?«
      Martha wollte die Stadt meiden, wo die Pubs bald angetrunkene Touristen und Einheimische ausspeien würden, die sich später vielleicht daran erinnerten, die beiden zusammen gesehen zu haben. Wenn sie in ruhigeren, schwächer beleuchteten Straßen blieben, würde sie niemand bemerken. Und sie musste ihn irgendwo hinlotsen, wo sie allein und unter sich waren. Bestimmt hatte er das Gleiche im Sinn. Er war eindeutig ein cooler Typ. Denn egal was er vorgab, sie war sich sicher, dass er sich an sie erinnerte. Wie konnte er sie vergessen haben? Und wie konnte sie vergessen, was für ein Mensch er war? Sie dachte an den Strand und die Höhlen.
      »Gehen wir doch zur Mole«, sagte sie, »und von dort weiter.«
      »Okay. Übrigens, ich heiße Jack, Jack Grimley.« Er streckte seine Hand aus.
      »Martha. Martha Browne.« Sie schüttelte seine Hand; sie war rau und schwielig - bestimmt vom Sägen und Hobeln des Holzes - und bei der Berührung erschauderte sie.
      »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Martha.«
      Sie nahmen die Stufen und kreuzten den Khyber Pass hinab zur Pier Road. Inzwischen war es nach halb elf, die Spielhallen waren bereits geschlossen. Nur vereinzelte Liebespaare schlenderten vor den Auktionshallen herum und die waren alle mit sich beschäftigt.
      Sie gingen hinaus auf die Mole und atmeten die Seeluft ein. Martha zündete sich eine Zigarette an und zog angesichts der Kälte dort draußen ihre Jacke etwas enger um den Hals. Bisher hatte Jack noch keinen Annäherungsversuch unternommen, doch sie

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