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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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wusste, dass es bald passieren würde. Im Moment schien er sich damit zufrieden zu geben, ruhig neben ihr zu stehen, während sie rauchte, und die entfernten Lichter draußen auf dem Meer zu betrachten. Sie fragte sich, wann er zuschlagen würde. Die Mole war zu offen. Um sie herum war alles dunkel, doch das ganze Ding ragte wie eine lange Steinbühne ins Wasser hinein. Dennoch war es genau der Ort, an dem er seinen ersten Schritt unternehmen könnte - ein flüchtiges Streicheln oder eine tröstliche Umarmung, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen.
      »Lust auf den Strand?«, fragte sie, ließ ihre Zigarette auf die Mole fallen und trat sie aus. »Ich lausche gerne den Wellen.«
      »Warum nicht?«
      Er ging neben ihr zurück zur Pier Road und die Steinstufen hinab zum verlassenen Strand. Eine schmale Gischtlinie brach sich längs auf den Sand, kurz darauf folgte das Zischen des sich zurückziehenden Meeres. Der Mond, der nun zu fast drei Vierteln voll war, stand hoch am Himmel und warf sein blasses Licht aufs Wasser. Dort schien es genau unter der Wasseroberfläche zu treiben wie eine fluoreszierende Qualle.
      Sie gingen dicht an der Felswand entlang, wo der Sand trockener war. Abgesehen vom Mondlicht war es dort unten stockdunkel. Durch die leicht gewölbten Klippen waren sie von der Stadt aus nicht zu sehen.
      Schließlich nahm Jack behutsam ihren Arm. Da haben wir es, dachte sie und spannte sich an. Sie versuchte sich normal zu verhalten und nicht wie gewöhnlich zu erstarren, wenn ein Mann sie zu berühren versuchte. Sie musste ihn einen Augenblick ablenken.
      »Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht erinnern?«, fragte sie und langte mit ihrer freien Hand in ihre Tasche.
      »An was erinnern?«
      »An mich.« Es war wirklich der Gipfel der Beleidigung, dass er nach allem, was geschehen war, so tat, als hätte er nicht die leiseste Ahnung.
      »Ich habe etwas anders ausgesehen«, sagte sie und schloss ihre Hand um den Briefbeschwerer. Wärme und Entschlossenheit durchströmten sie.
      Er lachte. »Martha, ich bin mir sicher, dass ich mich erinnern würde, wenn ich Sie schon einmal ...«
      »Ich hieß damals nicht Martha.«
      Es war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte, ganz anders, als sie es so viele Male vor sich gesehen hatte. Er sollte einfach nur hinfallen, fertig. Aber das tat er nicht. Als der massive Briefbeschwerer mit einem dumpfen Krachen auf seine Schläfe traf, sank er nur auf seine Knie, stöhnte und legte ungläubig eine Hand auf die Wunde. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor und glitzerte im Mondlicht. Dann drehte er sich um und starrte sie aus seinen funkelnden, weit geöffneten Augen an.
      Für einen Moment blieb Martha wie versteinert stehen. Unschlüssig, unsicher, ob sie weitermachen konnte. Unzählige Male war sie die Situation durchgegangen, sowohl im wachen Zustand wie in ihren Träumen, doch jetzt geschah es nicht so, wie es geschehen sollte. Aus Angst und Entrüstung schlug sie erneut zu und hörte ein noch lauteres Krachen. Diesmal fiel er vornüber in den Sand. Aber er blieb noch immer nicht einfach liegen. Sein Körper zuckte und krampfte anfallartig wie eine außer Kontrolle geratene Marionette, seine kurzen, dicken Finger krallten sich in den Sand. Martha stand da und schaute entsetzt zu, wie sich die auf dem Bauch liegende Gestalt auf dem Sand krümmte. Seine Arme zuckten und sein gesamter Körper schien zu erzittern, als wäre er kurz davor, zu explodieren. Plötzlich war es doch vorbei und er blieb reglos liegen. Im schwachen, weißen Licht sah das Blut um seinen Kopf ganz zähflüssig aus.
      Martha beugte sich vor und stützte ihre Hände auf die Knie. Sie holte ein paarmal tief Luft und versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Beinahe hätte sie es vermasselt. Die Realität unterschied sich immer von der Vorstellung. Bei dieser Sache hatte sie so viel ihrem Instinkt und ihrer Fantasie überlassen, dass sie hätte wissen müssen, dass es nicht laufen würde, wie sie immer gedacht hatte. Aber immerhin war es nun getan, er lag zu ihren Füßen, auch wenn die Tat selbst schrecklicher und beängstigender gewesen war, als sie erwartet hatte. Doch nun war es vorbei. Sie konnte ihn nicht einfach hier am Strand liegen lassen und sie konnte nicht länger hier im Freien stehen bleiben. Nachdem sie sich nervös umgeschaut hatte, nahm Martha allen Mut zusammen und machte sich an die Arbeit.
      Nach Atem ringend, zog sie die

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