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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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schwere Leiche langsam in die Öffnung der nächsten Höhle. Der Eingang war ein zerklüfteter Bogen von ungefähr zwei Metern Höhe, der sich im weiteren Verlauf bald verengte. Insgesamt führte die Höhle nur etwas mehr als vier Meter in die Klippe, war zudem noch gebogen und lief beinah spitz zu, doch für Marthas Zwecke reichte sie aus. Die dunklen Wände glitzerten glitschig, als würde auch der Fels schon in Erwartung schwitzen.
      Sobald Martha die Leiche in die Öffnung geschleppt hatte, hielt sie inne und lauschte. Mittlerweile war es nach elf Uhr. Die Pubs hatten bestimmt schon geschlossen und manche Leute könnten Lust bekommen, angetrunken am Strand entlangzuspazieren. Momente später kicherte jemand an der Mole, dann konnte sie Stimmen hören, die näher kamen. Schnell sammelte sie sich und zog die Leiche an den Knöcheln bis hinter die leichte Biegung in der Mitte der Höhle. Sie hätte beinahe aufgeschrien, als sie mit einem eingerissenen Fingernagel an einer seiner Wollsocken hängen blieb und ihn nur mit Mühe freibekam.
      Schließlich hatte sie ihn so tief wie möglich in die Höhle geschafft. Die Anstrengung hatte sie erschöpft - Schweiß perlte auf ihrer Stirn -, doch zumindest war sie nun in Sicherheit. Das schräg einfallende Mondlicht schien lediglich auf die ersten anderthalb Meter des Höhleninneren, dahinter wurde es von der Oberkante der gewölbten Öffnung abgeschnitten. Niemand konnte sie so weit hinten sehen, versteckt hinter der Biegung und hinter kleinen, im Sand liegenden Felsbrocken.
      Vorsichtig lugte Martha hinter einem Felsbrocken hervor und sah, eingerahmt von der Öffnung der Höhle, ein junges Paar. Sie hielt den Atem an. Sie waren ungefähr dreißig Meter entfernt, unten am Strand, wo sich die Wellen brachen. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie Fragmente ihres Gespräches aufschnappen.
      »... spät. Gehen wir ...«
      »... einen Moment ... friedlich ... gib mir ...«
      »Nein! ... kalt ... Komm!«
      Dann gab es weiteres Gelächter, und der Junge begann, hinter dem Mädchen her zurück zu den Stufen zu laufen.
      Martha atmete aus. Es war wieder still. Um sicherzugehen, dass keine weiteren Leute in Feierlaune herkamen und ihr Werk verdarben, wartete sie mit angehaltenem Atem ungefähr fünfzehn Minuten lang. Als bis dahin nichts geschah, zog sie die Leiche nach vorn ins Mondlicht am Eingang der Höhle, um nachzuschauen, ob er wirklich tot war.
      Grimley knirschte über die toten und ausgetrockneten Muscheln, die im Mondschein wie winzige Knochen schimmerten. Trockene Algenstränge knisterten unter Marthas Füßen und der Geruch von Seetang, Salz und verdorbenem Fisch stieg ihr in die Nase. Eine kleine, dunkle Gestalt krabbelte über den Sand nach hinten ins Dunkle. Sie zuckte zusammen. Draußen hörte sie nur den gleichmäßigen, ruhigen Rhythmus der sich auf den Sand brechenden und zurückschnellenden Wellen.
      Zuerst wusch Martha den Briefbeschwerer in einer kleinen mit Wasser gefüllten Felsmulde, trocknete ihn an ihrem Hemd ab und steckte ihn zurück in die Tasche. Sie überprüfte ihre Hände und ihre Kleidung, konnte jedoch kein Blut entdecken. Später, wenn sie zurück in ihrem Zimmer war, würde sie noch einmal genauer nachsehen müssen.
      Zum Schluss zwang sie sich, die Leiche anzuschauen. Eine Seite seines Gesichts war mit Blut bedeckt, ein Auge war aus der Augenhöhle hervorgetreten und schien sie direkt anzustarren. Seine linke Schläfe war zertrümmert. Entsetzt legte Martha einen Finger auf die Wunde und spürte, wie sich die Knochensplitter unter ihrer Berührung bewegten wie eine zerbrochene Eierschale. Der zweite Schlag hatte seine Schädeldecke getroffen, sie konnte die tiefe Delle spüren. Auch hier waren die Knochen gesplittert, ihr Finger berührte etwas Weiches und mit Haar Verfilztes. Sie begann zu zittern, ein Schrei blieb in ihrer Kehle stecken und ihr drehte sich der Magen um. Neben ihm kniend übergab sie sich in den Sand und dachte, es würde nie mehr aufhören.
      Der abgestandene Gestank des Meeres hing in ihrer Nase, über ihre Finger waren Blut und die Hirnmasse verschmiert. Als sie wieder Luft bekam, wusch sie ihre Hände in der Lache in der Felsmulde und kniete dort nach Atem ringend, bis sie ihren Herzschlag wieder unter Kontrolle hatte. Sie konnte keine Minute länger in der Nähe der Leiche bleiben. Nachdem sie zur Öffnung der Höhle gekrabbelt war, lauschte sie ein paar Augenblicke. Abgesehen vom

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