Das stumme Lied
zu schielen.
Neben den Regalbrettern hing ein Pinnbrett, an dem noch alte Postkarten von Freunden hingen, die Urlaub in Kenia, Nepal oder Finnland gemacht hatten, dazu Fotos von ihr und Sarah und Galen sowie Gedichte, die sie aus der Literaturbeilage der Times ausgeschnitten hatte. Poster von Popstars gab es in ihrem Zimmer nicht mehr. Sie hatte sie in den letzten Jahren abgenommen, weil sie sich zu alt für solche Dinge hielt. Das einzige Kunstwerk, das ihre Wände schmückte, war ein großartiger Druck von Monet, der im Sonnenlicht, das darüber tänzelte, wunderbar lebendig wirkte.
Außerdem besaß sie einen Sessel mit Fußablage, in dem sie las, und eine teure Stereoanlage. Ihre Plattensammlung bestand vor allem aus ein paar populären Klassikern - Beethovens Neunte, Tschaikowskys Pathétique (die sie gekauft hatte, nachdem sie im Filmklub der Universität Ken Russells Film Tschaikowsky - Genie und Wahnsinn gesehen hatte) und den Soundtrack von Amadeus - sowie ein paar alte Popalben: Rolling Stones, Wham!, U2, David Bowie, Kate Bush, Tom Waits. Keine dieser Platten interessierte sie jetzt, und es fiel ihr schwer, die Musik auszuwählen, die sie hören wollte. Schließlich entschied sie sich für die Pathétique und zog sich an, während die Symphonie nach ihrem langsamen und leisen Anfang anschwoll und vorandrängte.
Aber lange ertrug sie es nicht. Sobald das innige romantische Thema einsetzte, riss sie die Nadel weg und zerkratzte dabei die Oberfläche der Platte. Der brennende Schmerz in ihren Lenden hatte zwar nachgelassen, aber sie hatte Kopfschmerzen, die sie Musik nur schwer ertragen ließen. Sie war sich sicher, dass sie durch diese dunkle, in ihrem Kopf festsitzende Masse verursacht wurden. Wenn sie ihre Augen schloss, konnte sie sie sogar sehen, eine Kugel, schwärzer als die restliche Dunkelheit hinter ihren Augen. Ein schwarzes Loch vielleicht, das alles aufsaugte und umherwirbelte. Oder es war der Beginn eines emotionalen oder geistigen Krebsgeschwürs, das kurz davor war, sich in ihrem gesamten Wesen auszubreiten.
Kirsten setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich und legte den Kopf in die Hände. Ohne die Musik konnte sie wieder die Vögel hören. Draußen auf der Straße rief jemand einen Gruß. Sie konnte sogar ihre Mutter unten herumhantieren hören.
Es war bereits nach zehn Uhr und so herrliches Wetter, dass sie das Gefühl hatte, sie sollte einen Spaziergang machen. An jedem anderen Tag wäre sie noch vor dem Frühstück aufgestanden und im ersten Sonnenlicht durch die Wälder hinter dem Haus gestreift. Aber nicht heute. Zehn Uhr war vorüber, und sie wusste immer noch nicht, was sie mit sich anfangen sollte.
Sie versuchte, einen Blick in die Zukunft zu werfen, doch alles, was sie sah, war Finsternis. Vor dieser Nacht im Park hatte sie nie einen Gedanken daran verschwendet. Sie hatte immer geglaubt, dass die Zukunft, egal was passierte, genauso privilegiert, genauso herrlich und aufregend wie die Vergangenheit werden würde. Doch nun hatte sie keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anstellen sollte. Jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, schmerzte ihr Kopf noch mehr, so als würde die Blase in seinem Inneren wachsen und gegen die Innenseiten ihres Schädels drücken. Sie konnte sich nicht darauf konzentrieren, ein Buch zu lesen. Sie konnte es nicht ertragen, Musik zu hören. Was sollte sie denn tun, verdammt nochmal? Sie presste ihre Fäuste an die Schläfen und spannte sich an. In ihrem Kopf hämmerte der Schmerz. Sie wollte losschreien. Sie wollte ihren Schädel aufbrechen und ihr Gehirn mit den Fingernägeln herauskratzen.
Doch Wut und Schmerz ebbten ab. Langsam richtete sie sich auf und ging die Stufe zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Dort zog sie sich wieder aus, schluckte drei Schmerztabletten ohne Wasser und kroch zurück ins Bett.
* 25
Martha
Der Samstag brachte Martha zwei wichtige Nachrichten: eine, mit der sie gerechnet hatte, und eine andere, die alles veränderte.
Der Tag begann wie üblich beim Frühstück mit einem Zwinkern des alten Mannes und einem finsteren Blick seiner Frau. Da Martha nicht besonders hungrig war, verzichtete sie auf die Cerealien und begnügte sich mit Speck und Eiern. Sie spielte mit dem Gedanken, an diesem Tag eine andere Pension in einem anderen Teil der Stadt zu suchen. Keine schlechte Idee. Hier war sie den Leuten schon viel zu vertraut geworden, nicht mehr lange, und sie würden unangenehme Fragen
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