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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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übertriebene Vorstellung er von seinem Platz in der Daseinskette hatte. Die Leute hatten im Grunde überhaupt keine Ahnung, warum sie sich so oder so verhielten. Die meiste Zeit waren sie lediglich Opfer von Kräften, die jenseits ihrer Kontrolle und ihres Verständnisses lagen. Genauso wie sie es gewesen war.
      Auf Vernunft und Logik konnte man sich nur bis zu einem gewissen Grad verlassen, hatte Martha herausgefunden, hinter diesem Punkt hausten die Ungeheuer. Manchmal musste man die Grenze überschreiten und eine Weile mit den Ungeheuern leben. Manchmal hatte man keine Wahl.
      Bei ihrem Stammzeitungsladen an der Ecke gleich hinter der Brücke kaufte sie eine regionale Zeitung und den Independent und flüchtete sich dann in die Wärme, zu einem Kaffee und einer Zigarette.
      Zuerst nahm sie die regionale Zeitung und entdeckte, was sie suchte, gleich auf der ersten Seite. Es war nicht groß aufgemacht, nur ein kleiner Artikel, versteckt am unteren Ende, aber es war die Saat, aus der bald eine größere Geschichte wachsen würde. LEICHE NAHE SANDSEND ANGESPÜLT, lautete die Überschrift. Sandsend war lediglich vier Meilen entfernt. Das war besser, als sie gehofft hatte. Sie hatte befürchtet, die Leiche würde weiter als vier Meilen fortgetragen werden, und in einer großen Stadt wie Scarborough wäre ein solches Ereignis vielleicht nicht so wichtig gewesen. Sie begann zu lesen:
      An einem abgelegenen Strandabschnitt nahe Sandsend entdeckte letzte Nacht ein junges Paar die Leiche eines Mannes. Laut Aussage der Polizei wurde der Mann bisher noch nicht identifiziert. Chief Superintendent Charles Kallen bittet jeden, der etwas über eine vermisste Person weiß, sich umgehend bei der Polizei zu melden. Der Tod ist nach den Ermittlungen nicht vor Donnerstag eingetreten, seitdem war die Leiche anscheinend im Meer getrieben. Über die Todesursache hat die Polizei keine Angaben gemacht.
      Sie wussten nicht besonders viel. Und wenn sie etwas wussten, dann sagten sie es nicht. Martha hätte angenommen, dass es offensichtlich wäre, wie der Mann zu Tode gekommen war. Doch das Meer ist unberechenbar, erinnerte sie sich. Die Polizei nahm wahrscheinlich an, dass seine Kopfverletzungen von Felsen verursacht worden sein könnten. Die Kriminaltechniker waren allerdings clevere Leute, bei einer Obduktion würden sie schnell herausfinden, was wirklich geschehen war.
      Etwas enttäuscht über die Dürftigkeit des Artikels bestellte Martha einen weiteren schwarzen Kaffee und zündete sich die dritte Zigarette des Tages an. Sollte sie in der Stadt bleiben, bis die Wahrheit herauskam? Dieser Artikel war wirklich lustlos hingeschludert worden. Sie sollte wenigstens so lange bleiben, bis die Leiche identifiziert worden war. Andererseits würde diese Nachricht auch in den überregionalen Tageszeitungen erscheinen, die sie überall lesen konnte. Nein, es war besser zu bleiben. Bleib in der Nähe der Handlung. Sie war so weit gegangen, dass alles sinnlos wäre, wenn sie sich nun zurückzog.
      Als Nächstes widmete sie sich dem Independent. Sie rechnete nicht damit, dort etwas über die Entdeckung von Grimleys Leiche zu lesen, trotzdem blätterte sie die Zeitung durch. Am unteren Ende der zweiten Seite, versteckt wie ein verrückter Verwandter im Keller, war ein kurzer Artikel, der ihr ins Auge fiel. Er erschien unter der simplen Überschrift WEITERE LEICHE GEFUNDEN. Vielleicht war es das. Martha faltete die Zeitung und las.
      Die Polizei gab letzte Nacht bekannt, dass sie auf einem Stück Brachland unweit der Universität von Sheffield die Leiche einer neunzehnjährigen Frau gefunden hat. Nach bisheriger Beweislage ist die junge Frau, eine Studentin der Universität, am Freitagabend kurz nach Einbruch der Dunkelheit ermordet worden. Detective Superintendent Elswick, der die Ermittlungen leitet, sagte den Reportern, dass die Frau, deren Name nicht bekannt gegeben wurde, mutmaßlich das sechste Opfer des Mörders sei, der als »Studentinnen-Schlitzer« bekannt geworden ist. Jedes seiner Opfer war eine Studentin von einer Universität des Nordens. Um welche Verletzungen es sich im Einzelnen handelte, wollte die Polizei nicht enthüllen. Der Mörder treibt mittlerweile seit über einem Jahr sein Unwesen im Norden, was zu heftiger Kritik an den polizeilichen Ermittlungen geführt hat. Mit der Frage konfrontiert, warum der Mörder noch nicht gefasst worden ist, lehnte Superintendent Elswick jeden Kommentar ab.
      Martha

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