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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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bringen lassen müssen, um zu töten, und zu diesem Zweck hatte sie Keith verführt, ihn zu Tode verführt. Über diese perverse Logik hätte selbst Sue am nächsten Morgen fast lächeln müssen, die Nacht jedoch war furchtbar gewesen, voller Selbsthass, Selbstanklage und Selbstzerfleischung. In diesen Stunden hatten ihr selbst der Talisman und die Litanei der Opfer nur schwachen Trost gespendet.
      Außerdem hatte sie Angst gehabt. Wie immer, wenn man während dieser unsäglichen Stunden vor dem Morgengrauen grübelnd wach liegt, führt eine Furcht direkt zur nächsten. Die beunruhigte Seele scheint in diesen Momenten Ängste mit der schrecklichen Hingabe eines stürmischen Ozeans aufzuwerfen. Mit dem Mord an Keith hatte sie die Gefahr, gefasst zu werden, bevor sie ihr Vorhaben beendet hatte, mehr als verdoppelt. Da sie nun in zwei Mordfällen zu ermitteln hatte, würde die Polizei bestimmt die Ähnlichkeiten erkennen und ihre Suche intensivieren. Sie könnte mit Keith in Staithes, Port Mulgrave oder Hinderwell gesehen worden sein, außerdem könnte sich jemand daran erinnern, sie mit Grimley im Lucky Fisherman gesichtet zu haben. Ihre einzige Hoffnung war, dass Keiths Leiche im Wald unentdeckt blieb, bis sie ihre Aufgabe erfüllt hatte, und dafür hatte sie gebetet, während sie sich umhergeworfen und von einer Seite auf die andere gedreht hatte und schließlich, eingelullt vom misstönenden Requiem der Möwen, in einen unruhigen Schlaf gefallen war.
      Der Kaffee und die Zigarette halfen ihr, aufzuwachen. In den überregionalen Zeitungen stand nichts über den Studentinnen-Schlitzer, doch laut der Lokalzeitung war sich die Polizei nun sicher, dass Jack Grimley ermordet worden war. Detective Inspector Cromer sagte, man würde nun seine Vergangenheit nach jedem durchforsten, der einen Groll gegen ihn gehegt haben könnte, außerdem wollte die Polizei immer noch wissen, ob ihn jemand gesehen hatte, nachdem er in der Nacht seines Todes den Lucky Fisherman verlassen hatte. Bisher hatte sich also noch niemand gemeldet. Sue dachte an diese Nacht zurück. Sie war sich sicher, dass sie von niemandem bemerkt worden waren, und als sie erst einmal hinunter zum Strand und zu der Höhle gegangen waren, hatte niemand gewusst, dass sie dort waren.
      Sues Hände zitterten ein wenig, als sie den Rest der Zeitung auf der Suche nach Nachrichten über Keiths Leiche durchblätterte. Gott sei Dank gab es keine; er war eindeutig noch nicht gefunden worden. Dennoch würde sie sich beeilen müssen. Jetzt, da die Polizei ihre Suche verstärkte und Keiths Leiche im Wald jederzeit gefunden werden konnte, war die Zeit nicht mehr auf ihrer Seite.
      Sie wusste, was sie als Nächstes tun musste, doch es war noch zu früh am Tage. Ein kurzes Stück landeinwärts, am Ostrand der Stadt am Fluss Esk, stand ein Fabrikkomplex. Dort wurde ein großer Teil des in der Gegend gefangenen Fischs ausgenommen, filetiert und anderweitig zum Verkauf verarbeitet. Ein Teil davon wurde tiefgefroren. Die Fabrik beschäftigte ungefähr hundertundfünfzig Mitarbeiter, zur Hälfte Männer, zur Hälfte Frauen. Wenn die Person, nach der sie suchte, kein Fischer war, dennoch trotzdem etwas mit der Branche zu tun hatte, dann war dies der Ort, wo sie suchen musste. Nach dem Fehler mit Jack Grimley waren ihre Gedanken jetzt wesentlich klarer geworden.
      Obwohl sie wusste, wo sie suchen musste, war sie nicht sicher, wie sie vorgehen sollte. Sie konnte sich kaum vor den Fabriktoren aufbauen, jedermanns äußere Erscheinung überprüfen und jeden möglichen Verdächtigen bitten, ein paar Worte zu sagen. Doch welche Alternative hatte sie, als auf Beobachtungsposten zu gehen? Sie hatte kurz in Erwägung gezogen, sich dort um eine Stelle zu bewerben, um so einen Fuß in der Tür zu haben, doch dann müsste sie sich ausweisen und Referenzen und Krankenversicherungsbescheide vorlegen. Das konnte sie sich nicht erlauben. Eine andere Möglichkeit war, herauszufinden, ob die Arbeiter ein Stammlokal hatten. Doch egal was sie beschloss, sie würde damit beginnen müssen, um fünf Uhr, wenn die Arbeiter Feierabend hatten, vor Ort zu sein. Dann würde sie schon weitersehen.
      So sehr sie auch wollte, sie konnte die Dinge einfach nicht vorantreiben. Durch ihr Vorhaben hatte sie furchtbar viel freie Zeit und die Zeit spielte für den Gegner. Zudem war heute kein Tag, um am Strand zu lesen, und ihr Zimmer bei Mrs Cummings war viel zu deprimierend, um den ganzen Tag darin zu

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