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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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sich, was diese Panikmache sollte. Der Bericht von 2007, der uns noch fünfzehn Jahre gab, um den Klimakollaps abzuwenden, ist heute, zweiundzwanzig Jahre später, zur viel zitierten Lachnummer verkommen. Aber dürfen wir uns aufgrund falscher Prognosen das Recht herausnehmen, weiter in unser Wohnzimmer zu urinieren? Die Erde ist nun einmal unser Wohnzimmer. Und wenn wir ehrlich sind, hat es in ihm gewaltig angefangen zu stinken. Anstatt also weiter über die Saugfähigkeit des Teppichs zu diskutieren, sollten wir allmählich anfangen, unsere bisherige Lebensweise infrage zu stellen.«
    Ein Zischeln verbreitete sich im Theater.
    »Mr. Allan Prescott, meine Damen und Herren!«, rief der Staatsanwalt und deutete in Showmastermanier auf den Zeugen. »Würden Sie sich der Beurteilung anschließen«, fuhr er fort, »dass der Angeklagte Charles Ball wider besseres Wissen die Vernichtung unseres Planeten in Kauf genommen hat, dass er sogar bewusst dafür gesorgt hat, diese aus reiner Profitgier zu beschleunigen?!«
    »Ich bin kein Richter«, entgegnete Prescott. »Es liegt mir fern, eine einzelne Person für die Sucht und Dummheit einer ganzen Gesellschaft verantwortlich zu machen. Ist es denn nicht bemerkenswert, dass in den Industriestaaten bis weit in unser Jahrtausend hinein ein gesellschaftlicher Konsens darüber möglich war, dass es keine Rolle spielt, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen, solange es noch etwas auszubeuten gibt? Die Trümmergenerationen der Zukunft werden uns für diese Haltung verfluchen …« Nur nicht aufhören zu reden, dachte Prescott, solange du redest, bestimmst du selbst, wo es langgeht. Also spulte er sein bewährtes Repertoire herunter, mit dem er seit Jahren auf Tournee war. »In jeder öffentlichen Diskussion, die sich – aus Anlass des Klimawandels, der Wirtschaftskrise oder der Energieprobleme – mit Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung befasst«, fuhr er fort, »meldet sich jemand und teilt mit, dass Veränderung zwar ohne Zweifel notwendig sei, die Menschen aber auf nichts verzichten wollten, weshalb jede Veränderung völlig unrealistisch sei. Dann meldet sich gleich der Nächste und fragt, ob man denn allen Ernstes Verzicht predigen wolle und wie man denn dazu komme, anderen Menschen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Diese beiden Positionen kommen so sicher wie das Amen in der Kirche. Warum ist das so? Veränderung wird umstandslos mit Verzicht gleichgesetzt. In dem Augenblick, wo das Wort Verzicht fällt, erscheint der Status quo blitzartig als ein Optimum, an dem um Gottes willen nicht herumgeschraubt werden darf.«
    Jetzt fühlte er sich sicher. Während die Greifarme der Kameras über den Köpfen der Protagonisten aufgeregt hin und her schwenkten, servierte Prescott dem Publikum seine Lieblingsthemen, als würde er eine Schachtel Konfekt herumreichen. Er geißelte die Aufrechterhaltung einer Wirtschaft, die mit Milliardeninfusionen in einer Art Wachkoma gehalten werde, führte aus, warum die Erderwärmung nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und politisch eine Katastrophe sei, malte die Gefahr von Klimakriegen an die Wand, die den Planeten demnächst zu erschüttern drohten, und schloss mit einem Ausblick, der bisher noch immer verblüfft hatte:
    »Eine Wirtschaft ohne Wachstum? Geht das? Das ist ja wie ein Scheichtum ohne Öl!, werden Sie sagen. Aber ist schon jemandem aufgefallen, dass gerade jene Staaten, die ihren ungeheuren Reichtum dem Öl verdanken, sich konsequent der Entwicklung emissionsfreier Städte widmen, um sich auf ihre nichtfossile Zukunft vorzubereiten? Sie definieren ihr System von der Zukunft her, nicht aus der Gegenwart. Systeme, die ihre Relevanzkriterien bloß aus der Gegenwart beziehen, sind nicht überlebensfähig.«
    Prescott, der es gewohnt war, dass sein Publikum an dieser Stelle Beifall zollte, wunderte sich über die Stille, die ihn umgab. Er hatte den Eindruck, dass sich die Menschen nicht aus der Deckung trauten. Zum ersten Mal glaubte er den Druck zu spüren, dem sie ausgesetzt waren. Dass dieser Staat seine Relevanzkriterien nicht aus der Zukunft bezog, war hier jedem klar. Es war ein Rächersystem und somit der Vergangenheit verpflichtet. Mein Gott …
    Er verließ den Zeugenstand. Als er zum Abschminken in die Garderobe trat, fühlte er sich hundeelend. Er ließ sich in den Sessel fallen, betrachtete sein Spiegelbild wie etwas, das nicht zu ihm gehörte, und wandte sich anschließend dem Monitor

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