Das Südsee-Virus
eine Weile, bis er sich an das gleißende Bühnenlicht gewöhnt hatte. Erst als er auf dem Zeugenstuhl Platz genommen hatte, schälten sich die barocken, goldverzierten Ränge allmählich aus dem Dunkel, in dem die Zuschauer auf der Lauer lagen. Während der Staatsanwalt ihn als einen radikalen ökologischen Vordenker pries, dessen Buch »Blueprint for Survival« die grüne Bewegung nachhaltig beeinflusst habe, beobachtete Allan Prescott den Angeklagten. Charles Ball hatte die Hände im Schoß gefaltet. Sie zitterten, und die Knöchel waren vor Verkrampfung schneeweiß. Im Gesicht dieses Mannes war nichts mehr zu spüren von der Arroganz der Macht, die seiner Kaste einmal zu eigen gewesen war. Er war eine gebrochene Person mit wässrigen Augen und vertrockneten Lippen, die gelegentlich unkontrolliert aufzuckten. Den Zeugen hatte er wahrgenommen, weitere Beachtung schenkte er ihm jedoch nicht. Er wusste, dass von ihm nichts Gutes zu erwarten war.
»Mr. Prescott, wie erklären Sie sich die Tatsache, dass sich die amerikanischen Bürger von der Ball-Propaganda derart aufs Kreuz legen ließen?«, hörte er den Staatsanwalt fragen.
»Das ist relativ einfach zu erklären«, erwiderte Prescott leicht amüsiert: »John Maynard Keynes, einer der bedeutendsten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts, hat es zutreffenderweise so ausgedrückt: Der Kapitalismus basiert auf der Überzeugung, dass widerwärtige Menschen mit widerwärtigen Methoden für das allgemeine Wohl sorgen. Solchen Leuten traut man natürlich nicht zu, dass sie so etwas Schreckliches wie die Klimakatastrophe in Kauf nehmen …«
Die Bemerkung provozierte eine Menge Lacher im Publikum und ließ sogar den Staatsanwalt schmunzeln. Allan Prescott war die Situation peinlich, er hatte sich mit ein paar flapsigen Worten eigentlich nur warmreden wollen, wie er es auf seinen Vorträgen tat. Aber dies war kein Vortrag, dies war eine Anhörung.
»Ball Industries«, fuhr er betont sachlich fort, »war nicht das einzige Unternehmen, das den düsteren Prognosen der Klimaforscher mit großem finanziellen Aufwand entgegenzuwirken versuchte. Es war der Ölmulti Global Oil, der die mächtige Allianz der Vertuscher und Verharmloser jahrelang angeführt hat. Die Gründe für das obskure Engagement der Global Player liegen auf der Hand: Laut einer UNO-Erhebung aus dem Jahr 2017, also dem Start der Ball-Kampagne, waren die dreitausend weltgrößten Konzerne für jährliche Umweltschäden von vier Billiarden Dollar verantwortlich. Das ist eine Zahl mit fünfzehn Nullen. Mehr als die Hälfte der berechneten Kosten wurde durch den Klimawandel verursacht. Weitere Kostentreiber waren die Verschmutzung des Trinkwassers und die Luftverschmutzung durch Feinstaub. Hätten die Unternehmen für die Schäden, die sie der Umwelt zufügten, selbst zahlen müssen, wäre das ziemlich teuer geworden. Die Studie sprach davon, dass es die Verursacher ein Drittel ihres Gewinns gekostet hätte. Noch Fragen?«
»Keine weiteren Fragen, Sir. Jedenfalls nicht dazu.«
Die Art, in der er vom Staatsanwalt vereinnahmt wurde, war Prescott unangenehm. Er wollte auf keinen Fall den Eindruck einer Komplizenschaft zwischen dem Ankläger und ihm erwecken. Andererseits sah er sich verpflichtet, bei der Wahrheit zu bleiben und die Tatsachen zu benennen, die zu den desaströsen Zuständen geführt hatten, die nicht zuletzt auch der Angeklagte zu verantworten hatte.
»Ich möchte noch einmal auf die Methoden der Ball-Kampagne zurückkommen«, ließ sich der Staatsanwalt vernehmen. »Was machte sie so erfolgreich? Die Informationen über den Klimawandel waren doch seit Jahren für jedermann einsehbar …«
Allan Prescott hob die Schultern, als sei es ihm selbst ein Rätsel. »Vielleicht ist es tatsächlich so«, sagte er, »dass die Menschen in bedrängten Situationen nur glauben, was sie glauben wollen. Ähnlich wie früher die Tabakkonzerne, die gezielt Zweifel über die Schädlichkeit von Nikotin gesät haben, produzieren die Großkonzerne jetzt Zweifel an den kalkulierten Folgen der Erderwärmung. Dabei kommt ihnen natürlich entgegen, dass die Klimaforschung selbst eine Reihe von Fehlern begeht. So hat der Weltklimarat das Kunststück fertiggebracht, sich innerhalb kürzester Zeit um seine Reputation zu bringen. Vom Friedensnobelpreisträger zum Schwarzmagier. Die Gletscher im Himalaja werden nicht, wie von ihm prognostiziert, in sechs Jahren verschwunden sein. Die Menschen sehen das, und sie fragen
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