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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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gegen die Scheiben, bis sie schließlich betäubt zusammensackten. Sobald das ungesteuerte Gefährt gegen eine der Barrieren krachte, klappte das Dach auf, durch das eine dichte, schmutzige Qualmwolke entwich. Sanitäter wuchteten die Ohnmächtigen in bereitstehende Krankenwagen, in denen sie reanimiert wurden.
    Maeva blickte aus dem Fenster. Hinter dem Universitätsgebäude, in dem sie morgen mit den Mitgliedern des Rates zusammentreffen würde, blinkte der McKenzie River im Mittagslicht – von allen Fesseln befreit und wieder eingebettet in weites grünes Schwemmland. Eugene gehörte zu den vier Musterstädten ECOCAS. Bürger, die sich um den ökologischen Neuaufbau verdient gemacht hatten, durften mit ihren Familien hier ein Jahr lang wohnen. Die Beton- und Asphaltbänder waren vollständig ausgehoben und durch phantasievolle Gartenstraßen ersetzt worden. Strom und Wasser standen in Eugene ausreichend zur Verfügung und waren nicht, wie im Lande üblich, rationiert. Außerdem verfügte die Stadt über ein reichhaltiges kulinarisches und kulturelles Angebot.
    Dass sich die Menschen darum rissen, hier für einige Zeit wohnen zu dürfen, wie Tanith Agosta versichert hatte, war verständlich. Bedenklich nur, dass die Hälfte von ihnen Denunzianten waren. Menschen, die den Behörden Gesetzesbrecher und Umweltsünder aus der Nachbarschaft meldeten und dafür belohnt wurden. Die ganz offiziell als Denunzianten bezeichnet wurden und nichts dagegen einzuwenden hatten. In ECOCA galt ein Denunziant als ehrenwerte Person. Hier war sie bereits passiert, die Sprachverdrehung des Guten und des Bösen, vor der Nietzsche einst gewarnt hatte.
    Maeva blickte auf die vor einigen Sekunden aktiv gewordene Videowand, die auf dem Dach der Universität installiert war. Solche Screens fanden sich überall im Lande, nicht nur in den Städten und Dörfern, auch inmitten landwirtschaftlicher Nutzflächen. Die Tafeln dienten als Frühwarnsystem und funktionierten über biologische Messfühler. Sie reagierten auf erhöhte Ozonwerte, auf ultraviolette Strahlung, Chemiestaub und Radioaktivität. Aber für gewöhnlich transportierten sie Texte der Weltliteratur. »Poetische Injektionen« hatte Tanith Agosta die Botschaften genannt, welche sich hier anstelle von Coca-Cola und Konsorten an die Bevölkerung richteten. Maeva erinnerte sich besonders gerne an ein Zitat des deutschen Dichters Novalis, den Cording ihr gegenüber auf Tahiti einmal erwähnt hatte. Es leuchtete glutrot aus den grünen Weinbergen Napa Valleys und berührte sie sehr:
    Es ist schon viel gewonnen, wenn das Streben, die Natur vollständig zu begreifen, zur Sehnsucht sich veredelt, zur zarten bescheidenen Sehnsucht, die sich das fremde, kalte Wesen gern gefallen lässt, wenn sie nur einst auf vertrauteren Umgang rechnen kann.
    Eigentlich hatten alle Texte, die ihr auf der Reise nach Eugene begegnet waren, ihren ganz speziellen Reiz. Umso neugieriger war sie auf die Worte, die sich auf dem Dach gegenüber abzuspulen begannen:
    Die Menschheit ist in zwei ungleiche Teile zu teilen. Der kleinere Teil, etwa ein Zehntel der Gesamtheit, erhält allein die persönliche Freiheit und das unbeschränkte Recht über die anderen neun Zehntel. Diese neun Zehntel sollen aber ihre Persönlichkeit vollkommen einbüßen und zu einer Art Herde werden, um bei grenzenlosem Gehorsam durch eine Reihe von Wiedergeburten die ursprüngliche Unschuld wieder zu gewinnen, wenn sie auch, nebenbei bemerkt, werden arbeiten müssen.
F. M. DOSTOJEWSKI
    Maeva traute ihren Augen nicht. Was für ein perverses Spiel! Vermutlich hatte das Informationsministerium dieses Zitat speziell für Eugene ausgesucht. Weil man wohl der Meinung war, dass es unter Denunzianten verstanden würde. Eines stand jedenfalls fest: Freiwillig würde sie keinen Fuß in diese Stadt setzen!
    »Welcher Teufel hat Maeva geritten, diese gottverdammte Republik aufzusuchen? War das Ihre Idee?«
    Cording winkte ab.
    »Irgendeinen triftigen Grund muss es für diese bescheuerte Reise doch gegeben haben«, sagte Knowles.
    »Es war Sharks Idee«, antwortete Cording. »Er hat im Informationsministerium angefragt. Die Einladung erging prompt.«
    »Ihr hattet aber keine Ahnung, was hier gespielt wird, oder?«
    »Und Sie, John? Hatten Sie eine Ahnung?«
    »Ja sicher. Ahnung schon. Allzu viel ist über ECOCA ja nicht bekannt. Aber es gab einen kompetenten Zeugen. Julien Green. Schon von ihm gehört?«
    Cording schüttelte den Kopf.
    »Green tauchte

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