Das Südsee-Virus
auszuschalten, benötigen wir verlässliche Schutztruppen. Lassen wir doch um Gottes willen nichts unversucht. Wir sind Wissenschaftler, keine Bande machtgieriger Weltverbesserer. Wir sind aus der Reserve getreten, als es keine andere Wahl mehr gab.« Er stellte sich hinter die Energieministerin Vanilla Burnham und blickte die anderen Ratsmitglieder der Reihe nach an. »Die Testergebnisse sind beeindruckend«, sagte er, »das wissen Sie. Bisher ist kein einziger Soldat durch den Chip zu Schaden gekommen. Im Grunde spricht also nichts dagegen, einer dauerhaften Nutzung zuzustimmen. Es herrscht Krieg, liebe Kollegen! Überlebenskrieg. Und ich finde, dass wir ihn auf die bestmögliche Weise führen. Also lasst uns abstimmen. Wer ist dafür?«
Die Ökoräte schauten sich Hilfe suchend an. Einer nach dem anderen hob zögernd die Hand. Ausgerechnet Schutztruppenminister John Hodge verweigerte sein Einverständnis. »John«, mahnte Vanilla Burnham, »wir sind nicht beschlussfähig ohne deine Stimme.« Der Angesprochene drückte seine rechte Faust mehrmals gegen die Lippen, als wolle er sich den Mund verbieten. Schließlich stimmte auch er zu.
Die umstrittene Chipgeschichte war vom Tisch, und Tanith Agosta ging erleichtert zur eigentlichen Tagesordnung über. Sie berichtete dem Rat von der Inspektionsreise, die Maeva und sie während der letzten sieben Tage unternommen hatten, wobei das Informationsministerium bestrebt gewesen sei, keine Frage der URP-Vorsitzenden unbeantwortet zu lassen und ihr jede gewünschte Einsicht in den Alltag von ECOCA zu gewähren. Sie erwähnte die als Altensiedlungen bezeichneten Wohnkolonien, die sie besucht hatten und in denen die ehemalige gesellschaftliche Elite des Staates konzentriert war, die man bewusst aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen hatte: Politiker, Journalisten, Wirtschaftsgrößen, Werbefachleute etc. Sie ließ auch die Sterbekliniken in den Altensiedlungen nicht unerwähnt, in denen sich am Leben müde gewordene Insassen ein sogenanntes »Todesmenü« aus dem Cyberspace zusammenstellen konnten. Gerüche, Geräusche und atemberaubende Landschaften, die in eigens dafür entwickelten Sterbekammern abgerufen wurden, während die Kandidaten mithilfe eines zuvor verabreichten Sedativums sanft dahinschieden. Tanith Agosta sprach von den zahlreichen chinesischen Flüchtlingen, die Maeva aufgefallen waren und die in ECOCA im ökologischen Arbeitsdienst und dort hauptsächlich bei der Demontage von Atomkraftwerken, Chemiefabriken und auf gefährlichen Mülldeponien eingesetzt wurden. Bei der Gelegenheit vergaß sie nicht, die ausgeklügelte Logistik zu erwähnen, mit der die Renaturierungsbrigaden an ihre wechselnden Einsatzorte transportiert wurden. Sie ließ überhaupt keine der Scheußlichkeiten aus, die Maeva unterwegs so viel Kopfzerbrechen bereitet hatten. Die in jeder Kleinstadt eingesetzten Schnellgerichte ebenso wenig wie die willkürlich ausgerufenen Sperrgebiete. Inzwischen waren siebzig Prozent ECOCAS »menschenfrei«, wie Tanith Agosta es formulierte. Die elf geomorphologischen Gebiete Oregons und Kaliforniens mit ihren klar definierten Grenzen standen den Menschen nicht mehr zur Verfügung. Die meisten Bürger dieses Staates wussten nicht mehr um die Schönheit der schneebedeckten Berge, der Nebelküsten, der heißen Wüsten und urzeitlichen Mammutbäume. Sie hatten nie an den Ufern des Lake Tahoe oder zu Füßen des Mount Whitney gestanden, sie waren noch nie von den Wasserfällen und der üppigen Blütenpracht des Yosemitetals überwältigt worden, sie hatten keine Ahnung, wie der Pazifik roch, ihre Seele konnte nicht durchatmen, weder in der Sierra Nevada noch in der Mojavewüste. Für die Mitglieder dieses Rats war das ein Grund, stolz zu sein, getreu ihrem Motto »Erst die Erde, dann der Mensch!« Den gleichen Stolz glaubte Maeva auszumachen, als Tanith Agosta von der Verschmelzung der Religionen sprach. Das Christentum, behauptete sie, sei in ECOCA problemlos in der herrschenden Staatsreligion aufgegangen, weshalb es den Priestern der Ökosophie nicht schwerfalle, ihre Botschaft von den Kanzeln ehemals christlicher Gotteshäuser zu verkünden. »Die Ökosophie«, so Tanith Agosta, »bereitet die kommenden Generationen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung vor. Es ist deshalb nur logisch, dass wir den sonntäglichen Kirchenbesuch zu einer staatsbürgerlichen Pflicht erhoben haben.«
Maeva wurde der Gedanke, sich vor diesem Rat äußern zu
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