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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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informiert werden, wenn man ihnen sagt, wozu die einzelnen Schritte notwendig sind. Ein Staat, der seine guten Absichten mit Repressionen durchzudrücken versucht und seine Bürger zu willfährigen Befehlsempfängern degradiert, kann unmöglich erwarten, dass sich seine Menschen zu harmonischen, friedlichen Wesen entwickeln. Lüge und Gewalt sind ein schlechter Nährboden für Vertrauen. Hinzu kommt, dass den Bürgern dieser Republik jegliches Recht verwehrt wird. ECOCA ist ein Unrechtsstaat, der seine Gesetzesbrecher über Schnellrichter willkürlich aburteilt, bis hin zur Todesstrafe. Genau genommen ist jeder Bürger ECOCAS ein potenzieller Todeskandidat. Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die im Umgang mit der eigenen Bevölkerung jeden ethischen Ansatz vermissen lässt. Die Aussöhnung des Menschen mit der Natur kann nur gelingen, wenn dem Menschen die gleichen Rechte wie den Pflanzen und Tieren zugestanden werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Realität in ECOCA sieht anders aus. Keiner weiß das besser als Sie, denn Sie haben diese Zustände zu verantworten.«
    Maevas Worte prasselten wie Steinschläge auf die Versammelten ein. Es herrschte Schockstarre am Tisch. Maeva nutzte die Chance. Nachdem sie in aller Nüchternheit ihre Hauptargumente dargelegt hatte, ging sie von der Philippika zur Nachrede über, mit verändertem Tonregister. »Jeder Mensch auf der Welt wünscht sich doch dasselbe«, sagte sie sanft. »Größtmögliche Sicherheit, Respekt und Verständnis. Erst wenn wir über genügend Empathie verfügen, sind wir stark genug, uns die Werte nicht mehr von außen diktieren zu lassen. Unsere Werte verlagern sich. Wir konzentrieren uns nicht wie bisher auf Unterschiedlichkeiten, wir setzen den Fokus auf Gemeinsamkeiten. Der Begriff Tiefenökologie, den Sie in ECOCA so gerne verwenden, findet in der Kultur des Herzens, um die wir uns in den URP bemühen, seine adäquate Entsprechung. Eine solche Kultur stärkt die Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Ganzen, was wiederum zur individuellen, sozialen und ökologischen Gesundung der Gesellschaft beiträgt. Ich war übrigens letzten Sonntag in der Kirche. Ihre Staatsreligion hat diesen Gedanken längst aufgenommen. Gehen Sie mal hin, hören Sie zu, was die Priester der Ökosophie dem Volk predigen …«
    Es hätte dieses Affronts nicht bedurft, um die Stimmung kippen zu lassen. Einzig Maevas natürliche Autorität bewahrte sie vor unflätigen Bemerkungen, wie sie einigen der Anwesenden erkennbar auf der Zunge lagen. Schließlich nahm Professor Eric Sears das Wort, der schon in der Chipdebatte zu Beginn der Sitzung gesprochen hatte.
    »Dass die URP es sich leisten können, einen Vorreiter der ökologischen Wende als Mitglied abzulehnen, ist mir, und ich glaube da im Namen aller Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, völlig unverständlich. Wir sind es gewohnt, in der Welt auf Unverständnis zu stoßen. Von Ihnen, Maeva, hätten wir jedoch etwas mehr erwartet als eines der üblichen Pauschalurteile. Ich habe Ihnen eben sehr genau zugehört. Eine neue Kultur des Herzens! Klingt … wie soll ich sagen? Klingt phantastisch, irgendwie großartig. Wer könnte da schon Nein sagen? Ich nicht. Leider muss ich Ihnen trotzdem gestehen, dass Sie mich nicht überzeugen konnten. Nicht vor den dramatischen Hintergründen, mit denen wir konfrontiert sind. Es bleibt schlicht keine Zeit, um auf eine allgemeine Bewusstwerdung zu setzen. Ich garantiere Ihnen, dass noch eine ganze Reihe anderer Staaten dem Beispiel von ECOCA folgen werden. Weil sie erkennen, dass man die notwendige Operation auch wollen muss, wenn man am Leben hängt.«
    Wenn Rauura den tahitianischen Präsidenten in seine Hütte zitierte, musste es sich um eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit handeln. Omai, von dem langen Fußmarsch in die Berge des Te Pari erschöpft, wunderte sich, dass der Schamane auf die üblichen Begrüßungsrituale verzichtete und sofort zur Sache kam.
    »Ist deine Schwester noch bei Sinnen, oder wie soll ich das verstehen?«, schimpfte Rauura und wanderte mit auf dem Rücken verschränkten Armen nervös auf und ab.
    »Was meinst du?«, fragte Omai.
    »Was soll ich schon meinen? Ihr edelmütiges Angebot von gestern natürlich!«
    Omai bewertete Maevas Versprechen bei Weitem nicht so tragisch, wie es Rauura offensichtlich tat. Sicher, sie hatte den Zeitpunkt geschickt gewählt. Außerdem waren die notleidenden Inuit, die durch die Offshoreanlagen

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