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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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einer Demonstration abwechselten, bei der die kanadischen Behörden zehntausend schwer bewaffnete Soldaten der Nationalgarde gegen dreitausend unbewaffnete Ureinwohner in Marsch gesetzt hatten.
    Während die ungleiche Auseinandersetzung in immer neuen Einzelheiten dokumentiert wurde, richtete sich Shark langsam auf. Er ließ sich einen Vorschlaghammer reichen und erklomm die Hebebühne, welche normalerweise den Technikern des Hauses vorbehalten war. Auf ihr ließ er sich bis an die oberste Reihe der 36 im Block installierten Monitore fahren, auf die er nun wie von Sinnen eindrosch. Ein Segment nach dem anderen gab Funken sprühend und qualmend den Geist auf. Das Gebrüll der Krieger, die donnernden Einschläge des Vorschlaghammers, das hysterische Gekreisch des Publikums – das alles vermischte sich zu einer atemberaubenden Choreografie, in der Shark den Vortänzer gab. Wie ein Irrer prügelte er in großer Höhe auf die Bilder ein, die nach und nach erloschen, bis die gespenstische Schlacht, die sich letzte Woche bei Fort McMurray ereignet hatte, endgültig getilgt war. Schwer atmend und schwitzend hing Shark über der Brüstung der Hebebühne, die sich nun langsam zu Boden senkte. Er wirkte wie eine Stoffpuppe, die man achtlos beiseitegeworfen hatte. Während das Publikum sich vor Begeisterung kaum beruhigen mochte, stürmten vier Sanitäter aus den Kulissen und zerrten den zuckenden Leib des Moderators auf eine Trage.
    Gebannt verfolgte Cording den Abtransport Sharks, der sich bei dem Versuch, ihn festzuschnallen, immer wieder aufbäumte. Als sie ihn endlich im Griff hatten, jagte man ihm eine Spritze in die Vene, und sein Kopf, der eben noch wild hin und her gependelt war, fiel einfach auf die Seite. Etwas kitzelte Cording im Nacken. Es waren Maevas Haare. Er hatte sie nicht kommen hören. Sie legte ihr Kinn auf seine Schulter. Schweigend verfolgte sie mit ihm das Ende der Show.
    »Der arme Mensch …«, bemerkte Maeva. Es klang, als empfände sie großes Mitleid mit dem Moderator.
    »Wie lange bist du schon hier?«, fragte Cording.
    »Lange genug«, antwortete sie amüsiert und küsste seine linke Hand.
    Cording schlang seine Arme um ihre Hüften und berührte mit der Nasenspitze vorsichtig ihren Bauchnabel. Wie immer, wenn er sie auf diese Weise begrüßte, drückte sie seinen Kopf fest an sich.
    »Der Mann tut mir leid …«, wiederholte Maeva und schaltete den Laptop aus.
    »Das muss er nicht«, nuschelte Cording.
    »Sei nicht so grausam«, flüsterte Maeva, die seinen Kopf nach wie vor umschlossen hielt.
    Cording befreite sich vorsichtig, das tat er nicht gern, aber eine kleine Richtigstellung war an dieser Stelle wohl angebracht.
    »Du musst dich um diesen Shark nicht sorgen«, wiederholte er. »Das war nichts als eine geschickte Inszenierung. Die Show lebt von solchen Elementen.«
    Maeva strich ihm übers Haar und schwieg. Nach einiger Zeit ließ sie von ihm ab und lächelte vielsagend.
    »Was ist los mit dir?«, fragte Cording.
    »Australien hat sich heute bereit erklärt, zwei Millionen Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen!«, antwortete Maeva. »Damit ist meine Entscheidung gefallen.«
    Also doch! Ausgerechnet Australien, der Kontinent, der noch bis vor wenigen Jahren neben Katar und Saudi-Arabien den welthöchsten Ressourcenverbrauch pro Nase ausweisen konnte, dessen ökologisches Bewusstsein erst durch eine Reihe verheerender Naturkatastrophen in Verbindung mit dem eklatanten Absturz der US-Wirtschaft geweckt worden war, hatte den notwendigen Paradigmenwechsel am schnellsten vollzogen und sich in der industrialisierten Welt als ökologischer Musterknabe etabliert. Unter allen Regionen, die in letzter Zeit den URP beigetreten waren, hatte Australien sicher das größte Gewicht. Indem es nun seine Grenzen für Umwelt- und Armutsflüchtlinge öffnete, setzte es neue Maßstäbe in der Politik. Dieses nicht zu übersehende Zeichen der Solidarität machte es Maeva leicht, dem Ruf zu folgen, der bereits vor einem Jahr an sie ergangen war.
    Cording hatte diesen Moment gefürchtet. Er spürte, dass sich ihr Leben nun von Grund auf verändern würde. Wenn sich Maeva tatsächlich an die Spitze der URP wählen ließ, würde sie mit einem Schlag aus den Kulissen des tahitianischen Provinztheaters auf die große Weltbühne treten. Mutig genug war sie, das wusste er. Aber auf seine Geliebte wartete eine gefährliche Aufgabe! Die URP waren in den letzten Jahren weit mehr geworden als ein rühriger, vom Klimawandel

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