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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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schon jetzt eine Figur von historischem Ausmaß zu erkennen.
    Ihn fröstelte. Er hasste den Gedanken, sein Leben zukünftig im Schatten einer sendungsbewussten Frau fristen zu müssen. Vor allem hasste er die Vorstellung, sich permanent um sie Sorgen machen zu müssen. Es war ja klar, dass Maeva sich nicht nur Freunde machen würde.
    Während er durch den Regenvorhang starrte, der sich vom Verandadach herabsenkte, wurde ihm langsam bewusst, dass einer gescheiterten Existenz wie ihm, die sich bestenfalls als Verpackung ihrer selbst begreifen durfte, nur eine Chance blieb, wenn sie das Privileg von Maevas Nähe weiterhin genießen wollte: Er musste sich in ihren Dienst stellen, ihr sozusagen sein Leben opfern. Nur so ging es. Seine Geliebte war drauf und dran, sich an die Spitze einer Organisation zu setzen, die der alten UNO und mit ihr der ganzen verrotteten Welt des kollabierenden Suprakapitalismus den Kampf angesagt hatte. War Maeva überhaupt klar, welche Gefahren, Schwierigkeiten und Feindseligkeiten sie in Zukunft erwarteten? Wohl eher nicht. Also würde er nicht von ihrer Seite weichen. Er würde sie auf ihren Reisen begleiten, sie beraten und beschützen. Sie hatte doch keine Ahnung, was außerhalb Polynesiens vor sich ging. Das musste kein Nachteil sein, denn die Wirkung, die sie auf Menschen auszuüben imstande war, durfte man getrost ihrem unverfälschten Wesen zuschreiben. In diesem Punkt glich sie ihrem Bruder. Auch Omai war von einem Urvertrauen gegenüber den Menschen beseelt, auch er reagierte mit einem unbezähmbaren Veränderungswillen auf die Indikatoren der Katastrophe. Aber Omai hätte sich nie derart weit aus dem Fenster gehängt, wie es Maeva nun vorhatte.
    Cording drückte den Rücken durch und streckte die Arme in den Himmel, als sei ihm gerade eine große Last genommen worden. Er hatte seine Aufgabe gefunden – als Bodyguard einer tahitianischen Jeanne d’Arc! Er wagte einige Schritte hinaus in den Garten, ließ sich vom Regen das Gesicht waschen und kehrte ins Haus zurück, wo seine Liebste in exakt jener Haltung verharrte, in der er sie verlassen hatte. Behutsam nahm er seinen Platz ein, legte den Arm um sie und schwang sich auf ihren Atem, der nun nicht mehr ganz so regelmäßig ging. Sie verschmolzen zu einem Körper, Treibholz auf aufgewühlten Wassern. Plötzlich griff Maeva nach hinten und krallte sich in seine Haare. Cording biss ihr in den Hals, in den Arm, in die Brust, bis sie sich über ihn schwang. Sie liebten sich so leidenschaftlich, als sollte es das letzte Mal sein.
    Omai reichte Cording die Hand und zog ihn die letzte, etwa ein Meter hohe Stufe der verfallenen Tempelanlage über dem Trou du Diable empor. Das gurgelnde Geräusch der Brandung, die durch das »Teufelsloch« schoss, verfolgte sie bis hierher. Cording, der völlig entkräftet ins hohe Gras sank, hatte das Gefühl, als würden sich unter ihm die Pforten zur Hölle öffnen.
    »Komm, Bruder«, ermunterte ihn Omai lachend, »es ist nicht mehr weit.«
    Den Hinweis hätte es nicht gebraucht. Er erinnerte sich gut an diese Strecke. Vor fünf Jahren hatte er schon einmal den beschwerlichen Marsch in die Berge des Te Pari gewagt, um in Rauuras Hütte sein Tattoo zu empfangen.
    Omai riss einen Grashalm aus und kaute gedankenverloren darauf herum. Dies war nicht der Augenblick, ihm dumme Fragen zu stellen. Dabei hätte Cording gerne gewusst, was Rauura dazu bewogen haben mochte, sie auf den Pari zu zitieren. Er hätte auch gerne etwas über die Arioi erfahren, jene mysteriöse Geheimgesellschaft, die von den Missionaren im neunzehnten Jahrhundert zerschlagen worden war und über die das Gerücht kursierte, dass sie sich im Zuge der ökologischen Revolution neu etabliert hatte. Aber auf Tahiti geziemte es sich nicht, eine Person zu unterbrechen, die erkennbar in ihrem Schweigen ruhte. Er traute sich ja nicht einmal, diese verdammten Moskitos zu verscheuchen, die eine Attacke nach der anderen gegen ihn flogen, während sie Omai völlig zu ignorieren schienen. Schließlich wurde es ihm zu bunt. Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, dorthin, wo es am meisten juckte.
    »Hör zu, Bruder«, sagte Omai. »Alles, was in Rauuras Fare besprochen wird, darf nie nach außen dringen. Das ist Gesetz. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, verstehst du?«
    Cording nickte. Er blickte nach oben. Noch etwa hundert Meter, und sie hatten ihr Ziel erreicht.
    Rauura empfing seine Gäste draußen vor der Tür. Nachdem er Omai wortlos

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