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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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gefährdeter Verbund von Inseln und Regionen, die sich radikalökologisch neu ausgerichtet hatten. Die URP waren im Grunde das, was die UNO hätte sein sollen: eine Dachorganisation, die im Interesse der Menschen agierte. Nach dem Desaster, das die internationale Finanzoligarchie zusammen mit einer Handvoll multinationaler Konzerne auf der Erde angerichtet hatte, sehnten sich nämlich immer mehr Menschen danach, wieder im Einklang mit der Natur leben zu können. Allerdings fragte sich Cording, welche Natur sie noch meinen konnten. Egal: Die URP formulierten den Anspruch von Milliarden, und mit Maeva als Generalsekretärin würden ihre Stimmen nicht mehr zu überhören sein.
    Er musste ziemlich verstört ausgesehen haben, jedenfalls lachte sie lauthals auf, als wollte sie sich über ihn lustig machen. Als er seine Sprache wiedergefunden hatte, legte sie ihm den Finger auf die Lippen und schüttelte energisch den Kopf.
    »Oh nein«, sagte sie, »ich diskutiere nicht darüber. Mit dir nicht, mit Omai nicht und auch nicht mit irgendjemand anderem. Lass uns schwimmen gehen …«
    Cording betrachtete Maeva, die mit geöffneten Lippen neben ihm auf der Seite lag. Er schloss die Augen und inhalierte ihren Duft. Der Geruchssinn ist ein eigentümliches Sehvermögen … Warum fiel es ihm in letzter Zeit so schwer, in ihrer Gegenwart einzuschlafen? Er hatte es doch jahrelang genossen, sich in diesen warmen Kokon zu wickeln, sich quasi zu verpuppen für die Nacht. Maeva war seine zarte Besucherin, bevölkert von Stimmen der Sehnsucht. Liebte er sie? Er wusste nicht so recht, was das Wort Liebe bedeutete, aber wenn es bedeutete, dass er sie ständig begehrte, dass er sogar ihren Anblick begehrte, dann liebte er sie. In ihrer Gegenwart war er ohne emotionale Not.
    Er schob das Moskitonetz beiseite, rieb sich mit dem wohlriechenden Öl ein, das gegen die Biester helfen sollte, und ging hinaus auf die Terrasse, um sich von dem Regen betäuben zu lassen, der seit einigen Minuten ins Blätterwerk der Palmen prasselte.
    Eigentlich war sein Problem einfach zu erklären. Seit Maeva Omais Nachfolge im Präsidentenamt angetreten hatte, blieb kaum Zeit für ein gemeinsames Leben. Das Arbeitspensum, das sie zu leisten hatte, war enorm. Und die Schwierigkeiten, denen sie sich in den Parlamenten gegenübersah, wenn es darum ging, welche Rolle Tahiti in Zukunft nach außen spielen sollte, waren es wohl auch. Am wenigsten Ärger machte das Wirtschaftsparlament. Die Abgeordneten des politischen Parlaments waren ebenfalls mehrheitlich auf der Seite der Präsidentin. Auch im Kulturparlament schien sich der Widerstand in Grenzen zu halten. Gegenwind gab es vor allem aus dem Grundwerteparlament, in dem alle Fragen behandelt wurden, die sich um Tradition, Ethik und Spiritualität drehten. Einer der heftigsten Wortführer gegen Maevas Politik der radikalen Öffnung war der Schamane Rauura, dem Cording vor Kurzem überraschend am Bad der Königin Teura begegnet war.
    Natürlich ließ sich die Beanspruchung, der Maeva als Präsidentin der Ökologischen Konföderation Polynesiens ausgesetzt war, nicht im Entferntesten mit jenem Stress vergleichen, den das politische Tagesgeschäft den Akteuren in seiner Welt abverlangte. Aber selbst auf Tahiti häufte ein Vierzehnstundentag ein gewisses Maß an Erschöpfung an. Und die war Maeva inzwischen anzumerken. Solange sie noch an der Universität von Faaa gelehrt hatte, war die Sache in Balance gewesen, energetisch wie zeitlich. Damals hatte er nicht das geringste Problem damit gehabt, den Hausmann zu spielen und sich nebenbei an einem Roman zu versuchen, den er in der für ihn so typischen Bescheidenheit als ultimativen Sittenroman am Ende aller Zeiten angelegt hatte. Er brauchte eine solche Herausforderung, wenn er hier mehr sein wollte als ein Geduldeter, als »der Mann an Maevas Seite«.
    Aber während er in den letzten Monaten von heftigen Schreibblockaden heimgesucht wurde, schien Maeva zur selben Zeit auf mysteriöse Weise in ihre Bestimmung zu wachsen. Bestimmung – der Ausdruck war nicht zu hoch gegriffen. Nicht dass sie erkennbar anders geworden wäre. Ihr Liebreiz und ihre natürliche Heiterkeit waren ungebrochen. Sie kokettierte nicht im Geringsten mit dem, was sie zu tun beabsichtigte, sie erwähnte es nicht einmal – als hätte sie dem Schicksal ein Versprechen gegeben. Und genau diese Verschwiegenheit war es, die ihrer Persönlichkeit eine neue Statur verlieh. Manchmal glaubte Cording, in ihr

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