Das Südsee-Virus
Republikanischen Partei wurde inzwischen offen über einen Nachfolger spekuliert. Seine einzige Hoffnung, aus dieser merkwürdigen Konferenz noch etwas Zählbares für die Vereinigten Staaten herausschlagen zu können, war ausgerechnet jener Mann, den er im Wahlkampf noch als Vaterlandsverräter beschimpft hatte: Bobby McEwen. Der ehemalige Vizepräsident und heimliche Herrscher von Global Oil hatte nach seinem Rauswurf im Zuge des illegalen Ressourcenraubbaus vor Tahiti problemlos die Seiten gewechselt. Bereits wenige Monate nach dem von ihm verursachten Skandal saß er auf dem Chefsessel von Petrol Russia, unterstützt vom ehemaligen britischen Premierminister, der ihm als Vize zur Seite stand … Aber McEwen war nach wie vor Amerikaner. Abseits aller persönlichen Animositäten sollte er Verständnis haben für die Nöte Amerikas. Darauf setzte Hurst.
»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, Geoffrey?«, frotzelte Nowikov.
»In gewisser Weise ja«, antwortete Hurst. »Wissen Sie, was ich mich manchmal frage, Dimitri? Wie lange kann eine ausschließlich den Wirtschaftsinteressen multinationaler Konzerne verpflichtete Politik noch gut gehen, wenn sie weiterhin jegliches Fingerspitzengefühl für die Befindlichkeit der Bürger vermissen lässt? Wie gehen wir um mit dem wachsenden Empörungspotenzial, das ja nicht ganz ungefährlich ist, wie die chinesischen, indischen und – wie Sie zugeben müssen – russischen Verhältnisse uns lehren? Wie kriegen wir den Druck aus dem Kessel, Dimitri? Das macht mir Sorge. Ihnen etwa nicht? Was ist mit dem wachsenden Einfluss der Fundamentalisten in Ihren islamisch geprägten Republiken, was mit den Unabhängigkeitsbewegungen in Kirgisien und der Mongolei? Russland hat viele kleine Alaskas. Wollen Sie die alle militärisch befrieden?«
»Nein«, antwortete Nowikov lachend, »wir gehen mit unseren Soldaten nur dahin, wo es ums Eingemachte geht. Sie wissen schon: Gas, Öl, Nickel, Kupfer, Silicium und so weiter, was man halt so braucht, wenn man seinen empfindsamen Bürgern einen gewissen Lebensstil ermöglichen will …«
Hurst beobachtete Ministerpräsident Bastrup, der sichtlich mit sich zu kämpfen hatte. Der Widerwille stand dem zwei Meter großen ehemaligen Mathematikprofessor aus Kopenhagen, der hier auch für Norwegen sprach, förmlich ins Gesicht geschrieben. Mit ihm wagte sich auch Kanadas Regierungschef Peter Norfolk aus der Deckung. »Wir dürfen auf keinen Fall den Fehler begehen, die Signale zu missachten, die von Sydney ausgehen«, wandte er zögernd ein. »Die neue Generalsekretärin der URP hat sich moralisch unangreifbar gemacht, sie hat Charisma, das ist doch unbestritten. Somit hat sie auch das Zeug dazu, die Enttäuschten und Betrogenen dieser Welt hinter sich zu versammeln. Die Dame führt einen Kreuzzug gegen die Kräfte des freien Marktes, das ist mutig und gefährlich. Gefährlich für sie selbst, aber auch gefährlich für uns. Sie hat ja recht, wenn sie sagt, dass sich ein Großteil der Weltbevölkerung nach einer positiven Zukunftsperspektive sehnt. Das sehe ich genauso. Wir wären also gut beraten, an dieser Perspektive mitzuarbeiten, anstatt uns weiterhin in einer hochsensiblen, hochexplosiven Weltlage mit technokratischer Kälte zu behaupten.«
Nowikov schaute seine Gäste der Reihe nach kopfschüttelnd an. »Was ist denn plötzlich los mit Ihnen, meine Herren?«, fragte er sichtlich ernüchtert. »Sie werden sich von dem spirituellen Gesülze dieser Südseenutte doch nicht irremachen lassen! Wie soll sie denn aussehen, die schöne neue Welt? Schalten wir in Zukunft das Licht aus? Bewegen wir uns nicht mehr von der Stelle? Schmeißen wir Mobiltelefone und Fernseher auf den Müll und erzählen uns stattdessen am offenen Feuer Märchen aus uralten Zeiten? Ah, da sind sie ja!«
Mark Dowie und Robert McEwen, die Vorstandsvorsitzenden von Global Oil und Petrol Russia, hatten die Veranda betreten. Ihnen war die Arroganz jener Wirtschaftsführer ins Gesicht geschrieben, die wussten, dass sie eine versammelte Politrunde wie diese jederzeit am Nasenring durch die weltpolitische Arena führen konnten. Zehn Milliarden Tonnen Erdöl und Erdgas lagerten unter der Eisdecke des Nordpolarmeeres, interne Schätzungen der Ölmultis gingen sogar von 25 Prozent der weltweiten Vorkommen aus. Lange Zeit hatte ihre Förderung als unrentabel gegolten, aber angesichts der stetig steigenden Rohstoffpreise und der ungebremsten Erderwärmung war man inzwischen sicher,
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